Ankerzentren: Isolation statt Integration

Das Symbol des Ankers steht eigentlich für Bleiben, Stabilität und Halt. Doch der aus dem Koalitionsvertrag (2018) stammende Begriff „AnkERzentrum“ bedeutet für Geflüchtete das Gegenteil: Ankunft, Entscheidung und Rückführung – wobei die Bundesregierung besonderen Wert auf das Wort Rückführung legt.

Die bayrischen Transitzentren in Manching und Bamberg gelten als Vorbild für die Ankerzentren, die Seehofer bundesweit errichten will. ProAsyl schreibt dazu: „In den neuen Ankerzentren sollen nach dem Willen des Innenministers zunächst alle ankommenden Schutzsuchenden untergebracht werden. Dieses Vorhaben wird gleich mehrere schwerwiegende Folgen haben: Die Isolation in solchen Zentren behindert die Integration derjenigen, die in Deutschland bleiben werden. Flüchtlingen fehlt der Zugang zu Beratungsstrukturen oder Rechtsbeistand – viele von ihnen werden in der Praxis sowohl im Asylverfahren als auch bei drohender Abschiebung ohne Hilfestellung dastehen. Und Großunterkünfte für Flüchtlinge sind stigmatisierende Zeichen der Ausgrenzung, sie werden häufig zum Kristallisationspunkt von Hasskampagnen.“

In vielen Städten und Bundesländern, in denen Ankerzentren geplant oder angedacht sind, regt sich der Widerstand gegen diese Massenunterkünfte. Schleswig-Holstein hat dem Lagerkonzept des Bundesinnenministers eine deutliche Absage erteilt. Landesinnenminister Grote erläuterte, dass es für Schleswig-Holstein keine Notwendigkeit bestünde, sich an der Strategie der sogenannten AnKER-Zentren zu beteiligen, da diese ausserdem systematisch Brennpunkte mit eingepferchten Menschen schaffen würden. Er kritisiert zudem, dass das Bundesinnenministerium die Verantwortung für den Betrieb dieser Zentren den Ländern zuschieben will.

Die Gewerkschaft der Polizei, Bezirk Bundespolizei, lehnt die Pläne des Bundesinnenministers ebenfalls strikt ab. Die Bundespolizei sei nicht bereit die Verwaltungsaufgaben wie die Freiheitsentziehung von Schutzsuchenden in den Bundesländern durchzuführen und wende sich aus grundsätzlichen, verfassungsrechtlichen und sachlichen Erwägungen entschieden gegen die Umsetzung solcher Vorhaben.

Die Diakonie Deutschland warnte schon in einer Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 23. März 2017 vor der Inhaftierung und Überwachung von Schutzsuchenden zur schnelleren Abschiebung und erläuterte, dass die geplanten Regelungen die Grundrechte von Asylbewerbern und Geduldeten erheblich einschränken werden. Die Wohlfahrtsverbände in Sachsen lehnen die Unterbringung von Geflüchteten in AnkERzentren ab, da sie inhuman sind und keinen Beitrag zur Integration leisten. „Eine bis zu 18 Monate dauernde kasernierte Unterbringung ist alles andere als ein konstruktiver Beitrag zur gelingenden Integration. Die Zeit des Aufenthalts in diesen AnKER-Zentren wird insbesondere für Menschen mit unsicherer Bleibeperspektive erdrückend lang und jeder Tag ist von Ungewissheit geprägt“, so Michael Richter, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Sachsen. Hauptkritikpunkt ist aus Sicht der Wohlfahrtsverbände die Isolation der Menschen in den Einrichtungen, da ihnen jegliche Teilhabe verwehrt wird – ein Menschenrecht, das der Staat zu schützen hat. Für große Personengruppen bedeutet dies zukünftig, dass sie mehrere Monate bis zu eineinhalb Jahren keine Chance haben, ihre Kinder auf Schulen oder in die Kita zu bringen, selber eine Ausbildung zu absolvieren, die deutsche Sprache zu lernen oder eigene Lebensperspektiven z.B. durch die Aufnahme einer Arbeit zu entwickeln. Hinzu kommt der psychische Druck, der gerade auf bereits traumatisierte Personen verheerend wirken kann.

Auch der Paritätische Gesamtverband betrachtet die Pläne des Bundesinnenministers mit großer Sorge: „Vor dem Hintergrund der massiven Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre machen die aktuellen Planungen um die AnKER-Zentren die zunehmende Abkehr von der Willkommenskultur in Deutschland besonders deutlich. So werden populistische und rechte Stimmen zunehmend gesellschaftsfähig und statt der dringend erforderlichen Diskussion um eine menschenrechtsorientierte und humane Aufnahmepolitik und Integration wird der Fokus mehr und mehr auf Kontrolle, Abschreckung, Abschottung und Ausgrenzung verlagert. Diese Politik hat verheerende Folgen nicht nur für Geflüchtete, sondern auch für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt.“ In seiner Stellungnahme geht der Paritätische ebenso auf die Konsequenzen für den Arbeitsmarktzugang ein: „Die aktuellen Pläne, geflüchtete Menschen bis zu 18 Monate in AnKER-Zentren unterzubringen, würden die zuletzt getroffenen politischen Entscheidungen bezüglich einer zügigeren Arbeitsmarktintegration wieder zunichtemachen und die Abhängigkeit von Sozialleistungen entgegen der Aussagen im Koalitionsvertrag verfestigen.“

ProAsyl und die Flüchtlingsräte der Bundesländer kritisieren weitere Punkte der geplanten AnkERzentren: Vollkommen indiskutabel sei das vom BMI angestrebte 48-Stunden-Schnellverfahren, da eine vernünftige Vorbereitung und Beratung von Asylsuchenden ist in einer solchen kurzen Frist nicht machbar ist. Es brauche Zeit Asylsuchende auf ihre Anhörung vorzubereiten, die dann auch effizienter und besser abläuft, als ohne Beratung. Des weiteren wird in der Stellungnahme auf die Auswirkungen für Kinder und Jugendliche eingegangen. 45 Prozent der Geflüchteten in Deutschland sind minderjährig. Zugang zu elementaren Kinderrechten wie Bildung, Teilhabe und Schutz bleiben verwehrt – wie jetzt schon für die geflüchteten Kinder aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“. Auch die Erstunterbringung und Alterseinschätzung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten soll in diesen Lagern für Erwachsene – statt wie bisher im Rahmen und in den Standards der Kinder- und Jugendhilfe – stattfinden. Dies stellt eine staatlich verantwortete Gefährdung des Kindeswohls dar.

Der Deutsche Caritasverband und die Diakonie Deutschland haben die Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder zum Anlass genommen, in einem Brief ihre Bedenken zu äußern und Hinweise zur Planung der Zentren zu geben. Die Verbände gehen darauf ein, dass längerfristige Unterbringung in großen Aufnahmeeinrichtungen wie in möglichen „AnKER-Zentren“ birgt die Gefahr von Rechtsverletzungen, zu Konflikten und sozialer Spaltung führt. Sie weisen darauf hin, dass die Dauer der Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen möglichst kurz sein und die Anzahl der untergebrachten Personen möglichst klein sein sollte, dass die besonderen Bedarfe von Flüchtlingen zu berücksichtigen sind und sich Einrichtungen zur Unterbringung im Gemeinwesen einfügen müssen und dass Asylverfahren durch unabhängige Rechtsberatung und -vertretung unterstützt werden sollten.

Weitere Hintergrundinformationen finden Sie hier  bei ProAsyl.