Redebeitrag von Özlem Nas (Schura – Rat der Islamischen Gemeinschaft in Hamburg) anlässlich der Friedenskundgebung zum Gedenken an die Opfer des rassistischen und islamfeindlichen Anschlages in Christchurch

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger,

Friede sei mit Ihnen und euch allen, Assalamu alaykum! Wir bedanken uns für ihr Erscheinen und möchten alle zu einem Moment des Schweigens für die Opfer von Christchurch einladen.

„Hello brother, welcome“, das waren die letzten Worte von Mohammed Daoud Nabi. Mit diesen Worten begrüßte der 71-jährige den Terroristen an der Tür zur Al-Noor-Moschee. Er hieß einen 28-jährigen Mann willkommen, für den er und seinesgleichen – für den „die Muslime“ nicht willkommen waren. Sie waren in seinen Augen Eindringlinge, die es auszulöschen galt, mit einem Massaker an einem Ort des Gebetes, an einem Ort der inneren Einkehr, an einem Ort des Friedens, an einem Ort, wo sie hätten sicher sein müssen.

Mohammed Daoud Nabi wurde kurz nach seinem Willkommensgruß brutal niedergeschossen. Er warf sich schützend vor andere Mitglieder seiner Gemeinde.

Husna Ara Parvin (42) versuchte ihren im Rollstuhl sitzenden Ehemann zu schützen, bevor die tödlichen Schüsse auch ihr Leben beendeten.

Naeem Rashid (50) startete den Versuch, den Terroristen zu überwältigen. Doch weder er, noch sein 21-jähriger Sohn Talha überlebten das Attentat.

Auch Khaled Mustafa (45) und sein Sohn Hamza, die gemeinsam mit ihrer Familie aus Syrien geflohen und erst seit ein paar Monaten in Christchurch angekommen waren, überlebten das Massaker nicht.

Maryam Gul verlor ihre gesamte Familie. Ihre Eltern waren aus Pakistan nach Christchurch gekommen, um ihren Bruder zu besuchen. Sie alle starben in der Moschee.

Mucad Ibrahim und Abdullah Dirie sind die jüngsten Opfer der brutalen Gewalttat, sie waren gerade einmal drei und vier Jahre alt.

Dies sind nur einige der Namen der 50 Menschen muslimischen Glaubens, die am Freitag, den 15. März, bei den rassistischen, muslimfeindlichen Terrorattentaten auf die Al-Nur-Moschee und auf die Linwood- Moschee in Christchurch, Neuseeland, ermordet wurden. Wir sind heute hier zusammengekommen, um ihrer zu gedenken und sie in unsere Gebete einzuschließen. Wir sind davon überzeugt, dass sie Frieden und Barmherzigkeit bei unserem Schöpfer finden werden.

Inna lillahi ve inna ileyhi raciun – Wir kommen von unserem Schöpfer und zu ihm ist unsere Heimkehr. Wir teilen das Leid der Angehörigen und Überlebenden, die dieses Trauma ein Leben lang begleiten wird. Es ist unvorstellbar, dass der Täter sein Massaker mit einer Helmkamera filmte und live ins Internet übertrug. 

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, dieser Grundsatz sollte für alle Menschen gelten. Doch Terroristen interessieren sich nicht für die Würde der Menschen, die nicht Teil ihrer eigenen Gruppe sind. Sie teilen die Menschen ein in Wir und Ihr, in Überlegen und Unterlegen, in Gut und Böse, in Wertvoll und Wertlos. Es ist ihnen egal, welche Biographien diese Menschen haben, sie entindividualisieren sie und sehen sie als monolithischen Block, der die eigene Gruppe bedroht und den es auszulöschen gilt. Die Premierministerin und die Bürgerinnen und Bürger Neuseelands machen durch ihr vorbildliches Verhalten deutlich, was Mitgefühl, Empathie und Solidarität bedeutet und wie es gelingen kann, aus einer horrenden Situation heraus authentisch für ein gestärktes Miteinander einzustehen. Der Täter wollte spalten, sie aber sind näher zusammengerückt. Auch die Hinterbliebenen der Opfer des Terroraktes in Christchurch machen vorbildlich deutlich, wie sie als gläubige Menschen mit der Tragödie umgehen.

So sagt Farid Ahmed: „Ich habe meine Frau verloren aber ich hasse den Mörder nicht. Als eine Person liebe ich ihn. Ich hege keinen Groll gegen ihn, ich habe ihm vergeben und ich bete für ihn.“

Maryam Gul, die ihre ganze Familie verloren hat, sagt: „Ich vergebe ihm. Anfangs wollte ich, dass er hart bestraft wird aber dann erinnerte ich mich daran, dass das nicht der Art und Weise entsprach, wie der Prophet damit umgegangen wäre, also vergab ich ihm.“

Mit Vergebung und Liebe auf Hass zu antworten ist eine Form von Spiritualität, die nicht nur im Islam, sondern in vielen Religionen beheimatet ist. Liebe und Vergebung sind die Basis von Mitmenschlichkeit. Durch ihren Umgang mit diesem brutalen Terrorakt bringen die Menschen in Neuseeland Hoffnung und Licht in das Dunkel des Hasses und der Gewalt. Wir hoffen sehr, dass sich viele Nationen ein Beispiel an diesem Umgang nehmen und Muslime als Mitmenschen betrachten, die friedlich und in Sicherheit mit ihren Familien leben wollen, ohne Sorge dafür tragen zu müssen, dass ihre Familienmitglieder von einem Gebet in der Moschee nie wieder zurückkehren.

Wir möchten als Schura an dem Glauben festhalten, dass es auch in Deutschland ein We are one und They are us im Sinne der Rede der Premierministerin Neuseelands geben wird und ihr alle, liebe Hamburgerinnen und Hamburger, seid hierfür der beste Beweis und dafür danken wir euch.

Wir möchten uns insbesondere bei jenen Hamburgerinnen und Hamburgern bedanken, die als Zeichen ihrer Anteilnahme Blumen vor einige unserer Gemeinden niedergelegt haben. Dass auch bundesweit Menschen Blumen an Moscheen niedergelegt und ihre Anteilnahme ausgesprochen haben, stimmt uns hoffnungsvoll.

Kirchen, sowie die jüdischen Gemeinden haben bundesweit wichtige Worte der Solidarität gefunden und Zusammenhalt demonstriert. Diese Solidaritätsbekundungen versinnbildlichen, dass nicht der Hass, sondern das Mitgefühl, die Empathie und das friedliche Miteinander obsiegen werden.

Unser Dank gilt auch jenen Journalisten, die mit ihrer Berichterstattung aufzeigen, dass es für Rassismus und Gewalt keinen Platz in unserer Gesellschaft gibt. Wir haben wohlwollend Titelseiten und Kommentare registriert, wie z.B. das Titelblatt der Morgenpost, auf dem schwarz unterlegt lediglich der Text: „Der Massenmörder von Christchurch filmte sich bei seiner monströsen Tat, damit diese Bilder um die Welt gehen. Von uns bekommt er dafür keinen Platz“, stand und das gestrige Titelblatt der Neuseeländischen Zeitung „The Press“ wo auf weißem Untergrund das Wort Selam auf arabisch mit der Übersetzung Frieden stand und die Namen der 50 Opfer aufgelistet waren.

Der Täter ist ein rechtsextremistischer antimuslimischer Terrorist, der an die menschenverachtende Ideologie der „White Supremacy“ – der rassistischen Theorie der weißen Überlegenheit- anknüpft, die auch hinter den Terroranschlägen von Utøya und Oslo (2011), auf die Emanuel AME Church in Charleston (2015), auf das Centre culturel islamique de Québec (2017), auf die Finsbury Park Mosque in London (2017) und auf die Tree of Life Synagogue in Pittsburgh (2018) steht. An diesen Beispielen wird deutlich sichtbar, wie global der Rechtsextremismus verzweigt und vernetzt ist. Wir wissen, dass terroristische Anschläge nicht in einem Vakuum geschehen. Anschläge auf Muslime sind auch Folge einer weit verbreiteten Stimmungsmache gegen den Islam und einer Dämonisierung von Muslimen. Ziel des Terroranschlags in Christchurch waren ausschließlich Muslime und der tragende Beweggrund war antimuslimischer Rassismus; dies muss klar benannt werden.

Vielen Vertretern von Politik und Medien fällt es jedoch schwer, die Anschläge als antimuslimisch zu bezeichnen und hierzulande wird noch immer darüber diskutiert, ob der Islam oder die Muslime Teil Deutschlands seien. Der Innenminister kann trotz zahlreicher registrierter islamfeindlicher Übergriffe auf Moscheen und Muslime, kein islamfeindliches Klima erkennen. Viele Medien fahren fort, ihrer altbekannten Rhetorik zu folgen und fokussieren sich auf den Täter, statt auf die Opfer. Titelseiten wie die der Daily Mirror, sprachen ernsthaft von einem „Angelic boy“ – einem engelsgleichen Jungen, der später zu einem rechtsextremistischen Killer wurde. In Christchurch waren die Opfer Muslime, gemeint aber sind WIR ALLE: Der Terror zielt auf unser Zusammenleben in einer offenen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft.

Wir wissen, dass dieser Hass und diese Ideologie nicht nur in Neuseeland und Australien, sondern auch bei uns in Deutschland existieren. Auch hier erhalten Rechtsradikale und Rechtspopulisten immer mehr Zulauf. Der offene Rassismus wird immer lauter.

Die Türen der Hamburger Moscheen stehen auch offen für alle und es ist nicht auszuschließen, dass es Nachahmer geben könnte. Einige unserer Moscheegemeinden haben sich bereits mit Bedenken um ihre Sicherheit an uns gewandt. Wir bleiben aufmerksam und werden weiterhin Gespräche mit der Stadt führen.

Wir wollen, dass der wachsende Rassismus gegenüber Muslimen ernstgenommen wird und setzen uns dafür ein, dass notwendige Maßnahmen ergriffen werden, die die Sicherheit und das würdevolle Miteinander aller Menschen in Hamburg gewährleisten. Wir machen aber auch deutlich, dass uns nichts davon abhalten wird, weiterhin unsere Moscheen zu besuchen. Unser Glaube ist stärker als der Hass von Terroristen. Wir werden weder ihren Hass erwidern noch werden wir sie fürchten.

Als islamische Religionsgemeinschaft kommt uns laute Kritik zu Ohren, die besagt, dass wenn die Opfer Muslime sind, in Politik und Medien mit doppeltem Maß gemessen wird, dass in den sonst so diskutierfreudigen Talkshows und in der Medienberichterstattung laut geschwiegen wird, dass Chefredakteure von Nachrichtensendern wie die Tagesschau und Tagesthemen es nicht für nötig befunden haben, einen Brennpunkt zum terroristischen Anschlag in Christchurch zu senden und dass es keine Trauermärsche von Politikern Hand in Hand für den Frieden gibt, wenn die Opfer Muslime sind.

Wir sind uns bewusst, dass die Kritik nicht die positive Anteilnahme überschatten und Oberhand gewinnen darf, aber wir sind uns auch bewusst, dass wir nicht naiv sein dürfen, indem wir die Gefahr unterschätzen, die nicht nur von Rassisten und Extremisten ausgeht, sondern auch von einigen Medien und Politikern und sogenannten Islamkritikern, die sich weiterhin an der Stimmungsmache gegen den Islam bereichern und an einer starken Stigmatisierung der Religionsausübung, etwa des Kopftuchtragens beteiligt sind.

Für Frauen mit Kopftuch sind Berufsverbote, Ausgrenzung und Alltagsrassismus in Form von verbaler und körperlicher Gewalt Teil ihrer Lebensrealität. Das prominenteste Beispiel ist zweifelsohne Marwa el Sherbini und leider gibt es noch viele andere. Am vergangenen Dienstag z.B. hat ein Mann in Neukölln einer schwangeren Frau mit Kopftuch in den Bauch geboxt, woraufhin sie im Krankenhaus behandelt werden musste. Der Hass ist da, nicht nur auf der Straße, sondern auch im Bundestag, in den Medien oder zuhauf in den Kommentarspalten im Internet. Er ist öffentlich und er ist laut und es wird ihm eine Bühne geboten. Sogenannte Islamkritiker und Islamexperten profitieren schon lange vom Geschäft des Muslim-Bashings.

Während hierzulande die Beschäftigung mit dem Kopftuch zu den Lieblingssportarten der Spalter und Hetzer geworden ist, trugen gestern nicht nur die Premierministerin selbst, sondern auch zahlreiche Frauen in Neuseeland bei der zentralen Gedenkfeier als Zeichen ihrer Solidarität Tücher um ihre Köpfe.

Die Neuseeländerin Bell Sibly äußerte dazu: „Wenn wieder jemand mit einer Waffe auftaucht und sie auf Menschen richtet, dann möchte ich dazwischenstehen. Er soll keinen Unterschied erkennen zwischen uns. Denn es gibt keinen.“

Der Imam der Al-Nur-Moschee, Gamal Fouda, einer der Überlebenden des Anschlags, sagte gestern: „Danke dafür, wie Sie uns mit einem einfachen Tuch eine Ehre erweisen.“

Wir haben heute dazu aufgerufen, gemeinsam ein Zeichen zu setzen, für ein friedliches, würdevolles und gleichberechtigtes Zusammenleben von ALLEN Menschen!

Und auch wir sagen allen Hamburgerinnen und Hamburgern: Danke dafür, dass ihr unserem Aufruf gefolgt seid und uns mit eurem einfachen Erscheinen eure Solidarität ausdrückt.

Es ist wichtig für uns, dass wir alle gemeinsam unsere Stimme erheben und uns diesem Hass entgegenstellen und dass wir gemeinsam sagen:

Wir lassen uns nicht spalten! Wir lassen uns nicht einschüchtern!

Wir stehen ein für ein gemeinsames WIR!

Wir stehen gemeinsam ein gegen Rassismus, Nationalismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus!

Gegen Hass und Gewalt! Für Menschlichkeit und Barmherzigkeit! Für Mitgefühl und Frieden!

Wir dürfen nicht zulassen, dass Überlegenheitsansprüche und Hass auch in unserem Umfeld in Gewalt münden.

Als Islamische Religionsgemeinschaft fühlen wir uns mit unserer Stadt und allen Hamburgerinnen und Hamburgern verbunden. Zahlreiche Organisationen und Institutionen haben uns sofort ihre Unterstützung für diese Kundgebung zugesichert, die Bischöfin, die Islamische Religionsgemeinschaft Ditib Nord, die Linke und die SPD beteiligen sich mit Redebeiträgen – und ihr alle – liebe Hamburgerinnen und Hamburger – seid hier erschienen, das bedeutet uns viel.

Dafür möchten wir als islamische Religionsgemeinschaft in Hamburg, im Namen der Schura und unserer 55 Mitgliedsvereine unseren ausdrücklichen Dank aussprechen.

Friede sei mit euch und ihnen allen – Assalamu alaykum ve rahmetullahi ve berakatuhu