Afghanistan – Ronja von Wurmb-Seibel

Liebe Freund:innen, Kolleg:innen und Bekannte! 

Ich schreibe euch heute mit der Bitte, Ihre und eure Aufmerksamkeit einem Thema zu widmen, dass mir gerade jeden Tag aufs Neue das Herz bricht: Afghanistan und die Situation der Menschen, die dort leben.

Seit mehreren Wochen sind die Taliban auf dem Vormarsch. Sie erobern nicht nur immer mehr Dörfer, sondern auch Provinzhauptstädte wie Kundus und Faisabad. Einige Menschen, die an diesen Orten gewohnt haben, schaffen es, mit ihren Familien irgendwie nach Kabul zu gelangen, um dort als Geflüchtete im eigenen Land zu leben. Andere müssen sich von einem auf den anderen Tag auf ein komplett neues Leben mit massiven Einschränkungen, Unterdrückungen, Gefahren und Gewalt einstellen. Bei sehr vielen Menschen wächst die Angst, dass sogar Kabul von den Taliban eingenommen werden könnte. 

Im Krieg in Afghanistan geht es momentan nicht nur darum, wer in welcher Provinz die Vorherrschaft gewinnen kann. Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen werden gezielt ermordet, ebenso diejenigen, die mit der afghanischen Regierung und Ausländer:innen zusammengearbeitet haben. Laut UN wurden allein im letzten Monat mehr als 1.000 Zivilist:innen getötet. Die Zahl der Kinder, die im Krieg sterben, steigt Laut UN von Tag zu Tag. Zusätzlich zur Gewalt des Krieges haben die Menschen in Afghanistan massiv unter Corona sowie unter einer Dürre und einer damit einhergehenden Hungersnot zu kämpfen. Selbst die Hoffnungsvollsten von denjenigen, die ich in Afghanistan kennengelernt habe, sehen momentan kaum noch einen Ausweg.

Die Menschen in Afghanistan haben in den letzten 45 Jahren mit allen denkbaren Mitteln für Frieden gekämpft: Mit Kunst, mit Wissenschaft, mit Sport, mit wochenlangen Friedensmärschen, mit Demonstrationen, mit Bildung, mit Theater, mit Filmen, mit Büchern, Gedichten, Graffiti, mit Spendenaktionen, Protesten, mit Journalismus, der mutiger ist, als ich es irgendwo sonst erlebt habe. Nirgendwo sonst habe ich so viele junge Menschen kennengelernt, die alles dafür tun, um ihr Land und ihre Gesellschaft irgendwie aus dem Schlamassel zu bringen. 

Die deutsche Regierung war, wie viele andere westliche Regierungen, in den letzten 20 Jahren massiv an allem beteiligt, was jetzt zu diesem brutalen Chaos geführt hat. Die afghanische Gesellschaft nun ohne Unterstützung darin versinken zu lassen, kommt mir so brutal vor, dass ich weder daran glauben noch akzeptieren will, dass es so passiert. 

Diejenigen von euch und Ihnen, die mich persönlich kennen, wissen, dass ich nicht gern und nicht oft um Hilfe frage. Jetzt aber bitte ich Sie, jetzt bitte ich euch von ganzem Herzen: Wenn Sie irgendwie können, leihen Sie Ihre Zeit und Ihre Aufmerksamkeit den Menschen in Afghanistan. Es gibt dafür mehrere Möglichkeiten: 

1. Unterstützen Sie Petitionen für ein Visa-Programm für diejenigen, die in den letzten Jahren mit der Bundeswehr und anderen deutschen Ministerien gearbeitet haben und dabei ihr Leben riskiert haben. Viele von ihnen werden schon jetzt massiv bedroht, teilweise auch angegriffen. Ich und viele andere haben vor inzwischen acht (!) Jahren das erste Mal über das Thema berichtet. Die Problematik ist bekannt, passende Lösungen auch. Was fehlt ist der politische Wille. Petitionen können ein wichtiger Schritt dabei sein, diesen zu verändern. So wurden zum Beispiel heute Abschiebungen nach Afghanistan aus Deutschland ausgesetzt, unter anderem, weil zahlreiche Organisationen und Privatpersonen dies gefordert hatten. 

Link zur Petition: https://weact.campact.de/petitions/aufnahme-der-ortskrafte-aus-afghanistan-die-die-bundeswehr-unterstutzen

Um die Petition zu unterstützen, können Sie sie auch in Ihrem jeweiligen Umfeld streuen. 

2. Kontaktieren Sie Ihre lokalen Politiker:innen und machen Sie sie auf das Thema aufmerksam. Teilen Sie Ihnen mit, (natürlich nur falls dem so ist), dass das Thema Afghanistan sowie eine gerechte Asylpolitik für Sie bei der nächsten Wahl entscheidend sein werden.

3. Jede/r von uns kennt Menschen, die Einfluss haben, und sei es nur ein bisschen: Lehrer:innen, Unternehmer:innen, Prominente, Musiker:innen, Sportler:innen, Lokalpolitiker:innen, Gemeindevorstände, Schülersprecher:innen… Sprechen Sie mit Ihnen und machen Sie sie auf die Situation in Afghanistan aufmerksam und warum es wichtig ist, die Menschen vor Ort weiter zu unterstützen. 

4. Wenn Sie finanziell unterstützen möchten: Wir haben in den letzten Jahren intensiv und häufig mit dem Afghanischen Frauenverein zusammengearbeitet. Er wurde von afghanischen Frauen, die in Deutschland im Exil leben, gegründet und unterstützt in Afghanistan an den Stellen, an denen es am nötigsten ist: mit Schulen für Mädchen und Jungen, mit Brunnen in verschiedenen Dörfern, die die Menschen mit dem wichtigsten überhaupt, mit sauberem Wasser, versorgen, mit Programmen für Frauen, die Unterstützung brauchen. Roger Willemsen war bis zu seinem Tod Schirmherr des Vereins. Seither übernimmt Herbert Grönemeyer diese Rolle. Ich weiß aus erster Hand, dass der Verein sehr gute Arbeit leistet und dass das Geld bei denjenigen landet, die es benötigen. Anders als bei großen Organisationen sind die Verwaltungskosten minimal – und transparent. Eine genaue Aufschlüsselung finden Sie hier: https://www.afghanischer-frauenverein.de/ueber-uns/#transparenz

Die Vorsitzende Nadia Nashir hat gestern im Morgenmagazin die aktuelle Lage in Afghanistan beschrieben: https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/afghanistan-sicherheit-katastrophal-100.html Einige von Ihnen kennen sie vielleicht aus TV-Sendungen wie Markus Lanz: https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-22-juli-2021-100.html 

Wenn Sie den Verein unterstützen wollen, finden Sie hier alle notwendigen Infos: https://www.afghanischer-frauenverein.de/so-helfen-sie-uns/#spenden

5. Wenn Sie Menschen in Ihrem Bekanntenkreis haben, die in Afghanistan aufgewachsen sind, bieten Sie Ihnen nicht nur Ihr Mitgefühl, sondern auch Ihre Unterstützung an. Alle, die ich kenne, sind momentan in kaum auszuhaltender Sorge um ihre Familien und Freund:innen, die noch in Afghanistan leben. Ein offenes Ohr, Essen, das Sie vorbeibringen, oder einfach eine kurze Nachricht, die Mut zuspricht, kann wenigstens für einen kurzen Moment helfen. 

Kein anderes Land hat mich so geprägt wie Afghanistan. Das liegt, ausschließlich, an den Menschen, die mir dort begegnet sind. Sie haben nicht nur geprägt, auf welche Art ich meine Geschichten erzähle. Sie haben auch geprägt, wer ich bin. Wenn Sie meine Arbeit schätzen, freue ich mich, wenn Sie diejenigen unterstützen, die ganz entscheidend dazu beigetragen haben, dass ich sie überhaupt mache.

Tausend Dank, von ganzem Herzen, für Ihre und eure Hilfe!

Ronja