„Solidarität statt Heimat“

Ein Aufruf gegen Rassismus in der öffentlichen Debatte

 

Frankfurt am Main, 19.06.2018 (lifePR) – Das Institut Solidarische Moderne (ISM), medico international und kritnet fordern eine klare Positionierung gegen Rassismus und wenden sich gegen eine Politik des Ressentiments. Zahlreiche Personen unterstützen den Aufruf.

Die Initiatoren setzen mit dem Aufruf ein notwendiges Zeichen gegen die zunehmende Polarisierung von rechts in den Debatten um Migration und Asyl. Sie fordern, Rassismus und Entrechtung klar beim Namen zu nennen und eine solidarische und humanitäre Position gegen den Rechtsruck zu verteidigen. Der Erziehungswissenschaftler und Publizist Prof. Dr. Micha Brumlik, die Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Naika Foroutan, die Intendantin des Hamburger Theaters Kampnagel, Amelie Deuflhard, der Autor Georg Diez, die Soziologin Prof. Dr. Sabine Hark und weitere Wissenschaftler und Kulturschaffende sind Erstunterzeichner.

„Es ist gegenwärtig kaum möglich, sich zwei Wochen Zeit für eine Initiative wie die unsere zu nehmen – die Talfahrt des Rechtstaates, des Asylrechts und der öffentlichen Debatte erreicht alle drei Tage einen nächsten Tiefpunkt“, so Sabine Hess, Professorin für Kulturanthropologie in Göttingen und Mitverfasserin des Aufrufs. „Wir sehen eine Politik auf dem Vormarsch, die auf Isolation, Ausgrenzung und Abwehr setzt und dabei Menschenrechte und demokratische Grundwerte missachtet. Der aktuelle Asylstreit zwischen CSU und CDU liegt ganz auf dieser Linie: Innenminister Seehofer fordert dabei offen zum Bruch europäischen Rechts auf im rechtspopulistischen Überbietungswettbewerb.“

Stephan Lessenich, Professor für Soziologie in München, ebenfalls Mitverfasser des Aufrufs, zieht folgende Linie von den Bäcker-Aussprüchen eines Christian Linders zur aktuellen politischen Zuspitzung: „In den letzten Jahren hat sich in weiten Teilen Europas ein politischer Rassismus breitgemacht, der die Grenzen zwischen dem konservativen, rechten und faschistoiden Lagern zunehmend verschwimmen lässt. Der größte Erfolg der AfD war nicht ihr Einzug in den Bundestag. Ihr mit Abstand größter Erfolg ist, dass man sich in diesem Land wieder hemmungslos menschenverachtend geben und äußern kann, wie wir es in der Stellungnahme formuliert haben.“

Nennen wir das Problem beim Namen. Es heißt nicht Migration. Es heißt Rassismus.

Neben migrations- und asylpolitischen Fragen geht es im Aufruf vor allem darum, an die Willkommenskultur im langen Sommer der Migration anzuknüpfen. Dafür braucht es aber die Konfrontation, so Mario Neumann vom ISM: „Wir erleben seit Monaten eine unerträgliche öffentliche Schmutzkampagne, einen regelrechten Überbietungswettbewerb der Hetze gegen Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten, aber auch gegen die solidarischen Milieus dieser Gesellschaft. Was wir brauchen ist kein Masterplan zur Migration, sondern ein Masterplan gegen Rassismus.“

Dr. Ramona Lenz von medico international bekräftigt ihrerseits: „Ein großer Teil der Gesellschaft erkennt Migration als gesellschaftliche Realität an und ist solidarisch mit Menschen auf der Flucht. Das ist nicht naiv und realitätsfremd. Die Haltung derer, die Demokratie und Menschenwürde verteidigen, muss in der öffentlichen Debatte dringend wieder hörbarer werden.“

Der Aufruf ist hier zu finden: https://solidaritaet-statt-heimat.kritnet.org/  und kann hier unterschrieben werden.

Statement d. Flüchtlingsbeauftragten

„Politische Aussagen der letzten Tage, wonach abgelehnte Asylbewerber auch in Terror- und Kriegsgebiete abzuschieben seien, haben Menschlichkeit vermissen lassen. Entgegen der Behauptung von Bundeskanzlerin Merkel ist Afghanistan keineswegs sicher genug für mehr Abschiebungen. Das geht auch aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes hervor. Bereits vor einem Jahr hatte die Erste Kirchenleitung der Nordkirche sich in einem Schreiben an die Innenministerkonferenz dafür eingesetzt, ‚Abschiebungen nach Afghanistan erst dann wieder zu vollziehen, wenn sich die dortige Situation dauerhaft gefestigt hat‘. Davon ist das Land jedoch weit entfernt.

Eine Unterbringung tausender Flüchtlinge in Großlagern, genannt ‚AnkER-Zentren‘ wäre nur scheinbar eine einfache Lösung für effizientere Asylverfahren inklusive Abschiebung. Ausgeblendet wird dabei, dass es um Menschen geht, unter ihnen Eltern und Kinder, über lange Zeiträume auf engem Raum isoliert, ohne jede Integrationsmaßnahme. Jeder Mensch hat in der Zeit  bei uns ein Recht auf Würde, Integration, auf Teilnahme an einem normalen Alltag.

Unmenschlich ist es, junge Flüchtlinge sich selbst zu überlassen und von ihren Eltern zu trennen, Väter und Mütter von ihren Kindern, Verheiratete von ihren Ehepartnern. Wir sagen als Kirche ganz klar: Familien gehören zusammen; das fördert Integration und stärkt die soziale wie psychische Stabilität jedes Menschen.

Zur öffentlichen Diskussion in diesen Tagen gehören auch Trauer und Entsetzen über das entsetzliche, unmenschliche Gewaltverbrechen in Wiesbaden. Wie viele Menschen fühle auch ich mich besonders den Angehörigen und Freunden, die um Susanna trauern, in Mitgefühl und Gebeten verbunden. Der Täter von Wiesbaden muss sich wie alle Täter vor einem deutschen Gericht verantworten. Zugleich gilt: Für ein friedliches Zusammenleben ohne Angst und in Würde in diesem Land brauchen wir selbstverständlich Rechtsstaatlichkeit, aber zugleich nicht weniger, sondern mehr Menschlichkeit.“

Pastorin Dietlind Jochims, Beauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) für Migrations-, Asyl- und Menschenrechtsfragen

 

Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche und die AG kirchliche Flüchtlingsarbeit Hamburg unterstützen die Aktion: ankern statt Zentren  der Diakonie Hessen.


Mit der Aktion „ankern statt Zentren“ wollen wir ein Zeichen setzen gegen Ausgrenzung, Abschottung und Rassismus.
Die Grund- und Menschenrechte gelten allen! Einem Willkommen 2.0 muss es darum gehen

·        Flüchtlinge schnell in Gemeinwesen ankommen und ankern zu lassen, statt sie lange in Großlagern zu isolieren;
·        das individuelle Recht auf Asyl zu erhalten, statt Geflüchtete nach vermeintlichen Bleibeperspektiven zu sortieren;
·        Angehörige nachziehen zu lassen, statt Familien zu trennen.

Materialien, gute Argumente, die gegen Ankerzentren ins Feld geführt werden können, und Bestellmöglichkeiten finden Sie hier: https://menschen-wie-wir.ekhn.de/projekte/aktion-ankern-statt-zentren.html 

Die Materialien sind kostenlos – eine Spende ist natürlich immer willkommen.
Positionierungen der Diakonie Deutschland und der Rechtsberaterkonferenz  zum Thema Ankerzentren finden Sie hier:
https://menschen-wie-wir.ekhn.de/startseite.html 

EU-Afghanistan-Deal

Die EU bemüht sich aktuell das 2016 geschlossene informelle Abkommen mit Afghanistan in die Praxis umzusetzen. Um Abschiebungen zu erleichtern und irreguläre Migration zu verhindern wurde die gemeinsame Stellungnahme „Joint Way Forward (JWF) on Migration Issues“ veröffentlicht. Das Dokument ist rechtlich nicht bindend, sondern soll eine Kooperation und Dialogsebene darstellen, die zur Durchsetzung effektiver Maßnahmen für die Bedürfnisse beider Seiten verpflichtet. Dadurch geht die Europäische Union wieder einen inoffiziellen Weg, ähnlich dem Deal mit der Türkei, der an dem durch die EU-Charta verlangten Schutz der Menschenrechte und fliehenden Menschen vorbei geht. Die Stellungnahme erläutert Maßnahmen, wie die Rückkehr von afghanischen Staatsbürgern z.B. durch den Bau eines dezidierten Rückkehr-Terminals am Kabuler Flughafen erleichtert werden soll. Es wird außerdem die Möglichkeit diskutiert wie Frauen und Kinder rückgeführt werden, ohne jedoch das Kindeswohl zu erwähnen. Es wird deutlich, dass es eine Verbindung zwischen der EU-Entwicklungshilfe für Afghanistan und dessen Kooperation im Migrationsmanagement gibt.

Der Europäische Flüchtlingsrat hat ein Advocacyschreiben veröffentlicht zu dem europäisch-afghanischen Bestreben. Neben einer guten Übersicht der Entwicklungen in der EU und der Türkei, der Schutzquoten und der europäischen Rechtsprechung fordert der Europäische Flüchtlingsrat das menschenrechtsverletzende Vorgehen einzustellen:

Abschiebungen nach Afghanistan sollten aufgrund der Sicherheitslage und den Herausforderungen bei der Reintegration von Rückkehrern aus Europa eingestellt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Rückkehr nicht vorliegen. Gefährdete Gruppen sollten unter keinen Umständen nach Afghanistan zurückkehren. Die freiwillige Ausreise sollte nur auf der Grundlage umfassender Informationen und einer Einwilligung nach Aufklärung erfolgen, wenn Bedingungen für eine würdevolle Rückkehr bestehen, echte Möglichkeiten zur Wiedereingliederung in Afghanistan bestehen und der Zugang zu Botschaften, UNHCR und IOM gewährleistet und NGO- Hilfe bei Schwierigkeiten möglich ist

Der europäische Aufwand die Rückkehr nach Afghanistan zu erzwingen ist im Vergleich zu den Staatsangehörigen die tatsächlich zurückkehren können, unverhältnismäßig hoch. Afghanistan hat offensichtliche und sehr ernste Herausforderungen, wenn es darum geht, Rückkehrer in Sicherheit zu bringen oder zu unterstützen. In Europa wird ein unfreundliches Umfeld für Afghanen geschaffen, obwohl vielen internationaler  Schutz gewährt wird. Die Integration der afghanischen Flüchtlinge in europäische Gesellschaften muss stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Die anhaltende Kluft der Schutzquoten in der EU zeigt, dass europäische Asylsysteme für schutzbedürftige Afghanen offenbar nicht funktionieren. Das EASO sollte die Praxis in Ländern mit niedrigen Anerkennungsquoten für afghanische Staatsangehörige analysieren und dabei betonen, dass das internationale Flüchtlingsrecht eingehalten werden muss.

In Afghanistan ist eine interne Fluchtoption bzw Schutzalternative unter den  UNHCR-Kriterien nicht gegeben, einschließlich Sicherheitslücken, Sicherheit, Zugang zu sicheren Orten, andere gewaltsam vertriebene Menschen in der Region, Zugang zu Unterkünften und Diskriminierung von Rückkehrern. Europa verschiebt seinen Fokus zunehmend vom Entwicklungs- und Menschenrechtsführer hin zu Abwehr, Isolation und Menschenrechtsverletzung . Damit gibt die Union ihre Vorbildfunktion auf und gibt anderen Ländern außerhalb der EU grünes Licht, ebenfalls Menschen weiterhin in ein zunehmend fragiles Afghanistan zurückzuführen.

Der „European Council on Refugees and Exiles“ (ECRE) schrieb über das „afghanische Paradoxon“ : Die kontinuierlich sinkenden Anerkennungsquoten und steigenden Abschiebungen trotz der sich stetig verschlechtertenden Sicherheitslage und eindeutiger UNHCR und EASO Stellungnahmen.

Der Norwegische Flüchtlingsrat NOAS hat eine Studie herausgebracht,“Who`s the strictest? A mapping of the Afghanistan-policies in Western European Countries”, die die extrem variierenden Anerkennungszahlen untersucht und rechtliche Einschätzungen zu interner Fluchtalternative, Fluchtgründen und Abschiebungspraxis gibt.

 

 

Zusammen gegen Rassismus

Auch im Jahr 2018 sterben Menschen im Mittelmeer, leben unter unmenschlichen Bedingungen in Camps und sind zunehmend mit rassistischer Gewalt konfrontiert. Dagegen und für eine Politik der Solidarität steht das Netzwerk We‘ll Come United. Im heute veröffentlichten Aufruf zu einer bundesweiten Parade am 29. September 2018 in Hamburg positioniert sich das Netzwerk unter dem Motto “United against racism” gegen den rassistischen Irrsinn auf den Straßen und in den Parlamenten, gegen eine sich einmauernde Gesellschaft und gegen die Politik der Ausgrenzung.

200 Organisationen, Initiativen, Cafés und Clubs, Vereine, Kulturinstitutionen, selbstorganisierte Migrant*innengruppen, Willkommensinitiativen, Künstler*innenkollektive und NGOs gehören zu den Erstunterzeichner*innen. Darunter Lampedusa in Hamburg und Jugendliche ohne Grenzen, das Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland, mehrere Flüchtlingsräte, das Tribunal “NSU-Komplex auflösen”, die Seenotrettungsorganisationen Sea-Watch und Jugend rettet, die NGO medico international, die Fußballclubs FC St. Pauli und SV Babelsberg 03 und das Hamburger Theater Kampnagel – Zentrum für schönere Künste.

“Das Problem in ganz Europa heißt nicht Migration, das Problem heißt Rassismus” so Newroz Duman, Sprecherin des Netzwerks We’ll Come United. “Allein in den letzten Wochen zieht sich ein roter Faden des Rassismus durch die Öffentlichkeit, der von der AfD über Christian Lindner, vom medialen Spektakel zu Ellwangen bis zur Neuregelung des Familiennachzugs reicht. Wir werden uns an diesem rechten Diskurs nicht beteiligen. Wir lassen uns nicht in ‘gute’ und ‘schlechte’ Migrant*innen spalten. Wir stehen auf der Seite all jener, die der täglichen Hetze, dem Grenzregime und der Entrechtung ausgesetzt sind und sich dagegen wehren. Je mehr Abschiebungen verhindert werden, desto besser.”

Die Parade in Hamburg soll die Stärke und Vielfältigkeit der antirassistischen Bewegung zeigen, die zu oft unsichtbar bleibt. “Ob auf dem Mittelmeer, im Kampf gegen Abschiebungen oder in der Willkommensinitiative: Die gelebte Solidarität von Unzähligen ist die praktische Antwort auf den alten und neuen Rassismus”, so Duman. Seit Monaten sind Aktivist*innen im Rahmen einer “Swarming”-Tour unterwegs. Sie besuchen Lager und abgeschiedene Unterkünfte von Geflüchteten, um die Menschen in ihren täglichen Auseinandersetzungen zu stärken. Am vergangenen Wochenende kamen vom 10.-13. Mai in Göttingen mehrere Netzwerke aus Bewegung und Wissenschaft zu einer „Großen Koalition des Antirassismus“ zusammen.

‘We‘ll Come United’ ist ein bundesweites Netzwerk aus Gruppen und Personen, die sich sozial, antirassistisch, kulturell und politisch engagieren. Es ist eine Koalition aus Refugees und Supporter*innen, aus Wissenschaftler*innen, Lehrer*innen, aus Nachbar*innen, aus Menschen aller Altersgruppen und aus verschiedensten Bereichen der Gesellschaft. Im September 2017 fand in Berlin die erste We’ll Come United-Parade statt: Vielfältig, laut und bunt hat der antirassistische Zusammenschluss kurz vor der Bundestagswahl auf Berlins Straßen ein Zeichen gesetzt. Seitdem hat sich das Netzwerk um viele Gruppen und Menschen erweitert, um dieses Jahr in Hamburg als Demo, als Karneval, als Parade mit Musik und Performance gelebten Antirassismus und Solidarität sichtbar zu machen.

Die AG kirchliche Flüchtlingsarbeit in Hamburg hat den Aufruf zum Bundesweiten Demonstration am 29. September 2018 in Hamburg unterschrieben.

„Der 29. September 2018 ist schon jetzt der schönste Tag des Jahres. Er wird unser Tag. Wir sind viele, wir sind verschieden und wir kämpfen jeden Tag vor unserer Haustür. Im September kommen wir alle zusammen. Wir kommen nach Hamburg, mit Autos, Zügen und Bussen. Aus Dörfern und Städten, aus Lagern und Camps, von Willkommensinitiativen und Hilfsorganisationen, von Baustellen, Schulen und Unis. Mit Lautsprecherwägen, Performances, Texten, Musik und Karneval verjagen wir die Kälte, den Rassismus, die Herzlosigkeit aus den Straßen der Stadt. Gemeinsam zeichnen wir ein Bild auf der Straße: das Bild unserer Freundschaft, das Bild eines solidarischen, vielfältigen und angstfreien Lebens. Wenn wir uns bewegen, bewegt sich die Welt!““

Weitere Informationen:

Aufruf: https://www.welcome-united.org/de/aufruf/

Video: https://www.welcome-united.org/de/well-come-united/ oder https://www.youtube.com/watch?v=CnaG1mCzSUc

Ankerzentren: Isolation statt Integration

Das Symbol des Ankers steht eigentlich für Bleiben, Stabilität und Halt. Doch der aus dem Koalitionsvertrag (2018) stammende Begriff „AnkERzentrum“ bedeutet für Geflüchtete das Gegenteil: Ankunft, Entscheidung und Rückführung – wobei die Bundesregierung besonderen Wert auf das Wort Rückführung legt.

Die bayrischen Transitzentren in Manching und Bamberg gelten als Vorbild für die Ankerzentren, die Seehofer bundesweit errichten will. ProAsyl schreibt dazu: „In den neuen Ankerzentren sollen nach dem Willen des Innenministers zunächst alle ankommenden Schutzsuchenden untergebracht werden. Dieses Vorhaben wird gleich mehrere schwerwiegende Folgen haben: Die Isolation in solchen Zentren behindert die Integration derjenigen, die in Deutschland bleiben werden. Flüchtlingen fehlt der Zugang zu Beratungsstrukturen oder Rechtsbeistand – viele von ihnen werden in der Praxis sowohl im Asylverfahren als auch bei drohender Abschiebung ohne Hilfestellung dastehen. Und Großunterkünfte für Flüchtlinge sind stigmatisierende Zeichen der Ausgrenzung, sie werden häufig zum Kristallisationspunkt von Hasskampagnen.“

In vielen Städten und Bundesländern, in denen Ankerzentren geplant oder angedacht sind, regt sich der Widerstand gegen diese Massenunterkünfte. Schleswig-Holstein hat dem Lagerkonzept des Bundesinnenministers eine deutliche Absage erteilt. Landesinnenminister Grote erläuterte, dass es für Schleswig-Holstein keine Notwendigkeit bestünde, sich an der Strategie der sogenannten AnKER-Zentren zu beteiligen, da diese ausserdem systematisch Brennpunkte mit eingepferchten Menschen schaffen würden. Er kritisiert zudem, dass das Bundesinnenministerium die Verantwortung für den Betrieb dieser Zentren den Ländern zuschieben will.

Die Gewerkschaft der Polizei, Bezirk Bundespolizei, lehnt die Pläne des Bundesinnenministers ebenfalls strikt ab. Die Bundespolizei sei nicht bereit die Verwaltungsaufgaben wie die Freiheitsentziehung von Schutzsuchenden in den Bundesländern durchzuführen und wende sich aus grundsätzlichen, verfassungsrechtlichen und sachlichen Erwägungen entschieden gegen die Umsetzung solcher Vorhaben.

Die Diakonie Deutschland warnte schon in einer Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 23. März 2017 vor der Inhaftierung und Überwachung von Schutzsuchenden zur schnelleren Abschiebung und erläuterte, dass die geplanten Regelungen die Grundrechte von Asylbewerbern und Geduldeten erheblich einschränken werden. Die Wohlfahrtsverbände in Sachsen lehnen die Unterbringung von Geflüchteten in AnkERzentren ab, da sie inhuman sind und keinen Beitrag zur Integration leisten. „Eine bis zu 18 Monate dauernde kasernierte Unterbringung ist alles andere als ein konstruktiver Beitrag zur gelingenden Integration. Die Zeit des Aufenthalts in diesen AnKER-Zentren wird insbesondere für Menschen mit unsicherer Bleibeperspektive erdrückend lang und jeder Tag ist von Ungewissheit geprägt“, so Michael Richter, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Sachsen. Hauptkritikpunkt ist aus Sicht der Wohlfahrtsverbände die Isolation der Menschen in den Einrichtungen, da ihnen jegliche Teilhabe verwehrt wird – ein Menschenrecht, das der Staat zu schützen hat. Für große Personengruppen bedeutet dies zukünftig, dass sie mehrere Monate bis zu eineinhalb Jahren keine Chance haben, ihre Kinder auf Schulen oder in die Kita zu bringen, selber eine Ausbildung zu absolvieren, die deutsche Sprache zu lernen oder eigene Lebensperspektiven z.B. durch die Aufnahme einer Arbeit zu entwickeln. Hinzu kommt der psychische Druck, der gerade auf bereits traumatisierte Personen verheerend wirken kann.

Auch der Paritätische Gesamtverband betrachtet die Pläne des Bundesinnenministers mit großer Sorge: „Vor dem Hintergrund der massiven Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre machen die aktuellen Planungen um die AnKER-Zentren die zunehmende Abkehr von der Willkommenskultur in Deutschland besonders deutlich. So werden populistische und rechte Stimmen zunehmend gesellschaftsfähig und statt der dringend erforderlichen Diskussion um eine menschenrechtsorientierte und humane Aufnahmepolitik und Integration wird der Fokus mehr und mehr auf Kontrolle, Abschreckung, Abschottung und Ausgrenzung verlagert. Diese Politik hat verheerende Folgen nicht nur für Geflüchtete, sondern auch für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt.“ In seiner Stellungnahme geht der Paritätische ebenso auf die Konsequenzen für den Arbeitsmarktzugang ein: „Die aktuellen Pläne, geflüchtete Menschen bis zu 18 Monate in AnKER-Zentren unterzubringen, würden die zuletzt getroffenen politischen Entscheidungen bezüglich einer zügigeren Arbeitsmarktintegration wieder zunichtemachen und die Abhängigkeit von Sozialleistungen entgegen der Aussagen im Koalitionsvertrag verfestigen.“

ProAsyl und die Flüchtlingsräte der Bundesländer kritisieren weitere Punkte der geplanten AnkERzentren: Vollkommen indiskutabel sei das vom BMI angestrebte 48-Stunden-Schnellverfahren, da eine vernünftige Vorbereitung und Beratung von Asylsuchenden ist in einer solchen kurzen Frist nicht machbar ist. Es brauche Zeit Asylsuchende auf ihre Anhörung vorzubereiten, die dann auch effizienter und besser abläuft, als ohne Beratung. Des weiteren wird in der Stellungnahme auf die Auswirkungen für Kinder und Jugendliche eingegangen. 45 Prozent der Geflüchteten in Deutschland sind minderjährig. Zugang zu elementaren Kinderrechten wie Bildung, Teilhabe und Schutz bleiben verwehrt – wie jetzt schon für die geflüchteten Kinder aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“. Auch die Erstunterbringung und Alterseinschätzung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten soll in diesen Lagern für Erwachsene – statt wie bisher im Rahmen und in den Standards der Kinder- und Jugendhilfe – stattfinden. Dies stellt eine staatlich verantwortete Gefährdung des Kindeswohls dar.

Der Deutsche Caritasverband und die Diakonie Deutschland haben die Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder zum Anlass genommen, in einem Brief ihre Bedenken zu äußern und Hinweise zur Planung der Zentren zu geben. Die Verbände gehen darauf ein, dass längerfristige Unterbringung in großen Aufnahmeeinrichtungen wie in möglichen „AnKER-Zentren“ birgt die Gefahr von Rechtsverletzungen, zu Konflikten und sozialer Spaltung führt. Sie weisen darauf hin, dass die Dauer der Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen möglichst kurz sein und die Anzahl der untergebrachten Personen möglichst klein sein sollte, dass die besonderen Bedarfe von Flüchtlingen zu berücksichtigen sind und sich Einrichtungen zur Unterbringung im Gemeinwesen einfügen müssen und dass Asylverfahren durch unabhängige Rechtsberatung und -vertretung unterstützt werden sollten.

Weitere Hintergrundinformationen finden Sie hier  bei ProAsyl.

„Fern von Aleppo“

Während des Krieges arbeitete der Physiotherapeut Faisal Hamdo in Krankenhäusern der zerbombten Stadt Aleppo. Nachdem er 2014 nach Hamburg kam, half ihm die Zentrale Anlaufstelle Anerkennung (ZAA) der Diakonie Hamburg seine Qualifikation anerkennen zu lassen. In der Neurochirurgie des UKEs bekam Herr Hamdo eine Arbeitsstelle. Auch das half ihm in Hamburg ein neues Zuhause zu finden.

Über seine Erfahrungen mit den Feinheiten der deutschen Sprache, die Bedeutung von Wetter in der Kommunikation, den Umgang der Deutschen mit ihren Haustieren oder deutschem Humor hat Faisal Hamdo ein Buch geschrieben.  In „Fern von Aleppo -Wie ich als Syrer in Deutschland lebe“ erzählt er vom Leben in Syrien und in Deutschland. Voller Humor und berührender Lebensklugheit spricht er davon, wie das Leben sich anfühlt: mit einem Teil von Kopf und Herz in der umkämpften syrischen Heimat und einem anderen in der neuen Heimat Deutschland.

Am Montag, den 26. März, und Dienstag, den 27. März, wird Faisal Hamdo sein Buch im KörberForum vorstellen. Das Hamburg Journal hat einen kurzen Bericht zu Faisal Hamdo und seinem Buch gedreht.

BAMF lädt zum Gespräch: was tun?!

Das BAMF verschickt derzeit auch in Hamburg Einladungen zu einem „Gespräch“ an anerkannte Flüchtlinge, die im Zeitraum 2014-2016 ein „beschleunigtes Verfahren“ durchlaufen haben. Das heißt, dass sie keine mündliche Anhörung hatten, sondern nur schriftlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden.
In dem BAMF-Einladungsschreiben wird darauf hingewiesen, dass die Teilnahme an dem Gespräch freiwillig ist. Inhalte des Gesprächs sollen die „Herkunft“ der Person sowie die Gründe, die zu Ihrer Schutzbedürftigkeit geführt haben sein.

Es gibt keine Pflicht, an einem solchen Gespräch teilzunehmen. Das schreibt das BAMF bereits selbst.
Da die Zielsetzung der Gespräche nicht transparent ist und Gefahr besteht, dass ein solches (schlimmstenfalls unvorbereitetes) Gespräch den Betroffenen Nachteile einbringen könnte, können wir nicht dazu raten, an solchen Gesprächen teilzunehmen. Denn selbst wenn das BAMF in nächster Zeit Flüchtlingsanerkennungen überprüfen und widerrufen will: dann muss Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben werden.  Diese schriftliche Stellungnahme ist besser kontrollierbar, als die Teilnahme an einem „freiwilligen Gespräch“.

Auf jeden Fall ist es empfehlenswert, sich vor einem solchen Gespräch beim BAMF gut (asylrechtlich!) beraten zu lassen. Sollte der Gesprächstermin sehr kurzfristig sein, wird empfohlen, den Termin zunächst zu verschieben, um ausreichend Zeit zu haben, um sich auf den Termin mit Hilfe einer Beratungsstelle vorzubereiten. 

Das Infoportal fluechtlingshelfer.info hat weitere hilfreiche Informationen zu BAMF-Gesprächseinladungen für Flüchtlinge mit einer Anerkennung im schriftlichen Verfahren zusammengestellt: https://fluechtlingshelfer.info/start/detail-start/news/ bamf-gespraechseinladung-fuer- im-schriftverfahren- anerkannte-was-tun/

Stellungnahme: Alterseinschätzung UMF

Verbände lehnen Gesetzesänderungen zum verstärkten Einsatz medizinischer Methoden zur Alterseinschätzung bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ab

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Ein breites Bündnis von 23 Verbänden und Organisationen lehnt Gesetzesänderungen zum verstärkten Einsatz medizinischer Methoden zur Alterseinschätzung bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ab. In einer gemeinsamen Stellungnahme sprechen sich die Unterzeichnenden zudem gegen die Einführung von Vorprüfverfahren in AnKER-Zentren für Erwachsene aus, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurden. Stattdessen müssten die derzeitigen Regelungen nachgebessert werden, um den Schutz und die Rechte von Kindern und Jugendlichen in den Verfahren zur Alterseinschätzung zu stärken. Neben dem Deutschen Kinderhilfswerk, dem Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und dem Flüchtlingsrat Niedersachsen haben u.a. die Arbeiterwohlfahrt, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, die Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, die Diakonie Deutschland, PRO ASYL, Save the Children und terre des hommes die Stellungnahme unterzeichnet.

„Mit dem Koalitionsvertrag drohen die AnkER-Zentren für Erwachsene zu Türstehern des Kinderschutzes zu werden. Auch wenn der Wortlaut noch vieles offen lässt, ist die Richtung eindeutig: Mehr Härte bei der Alterseinschätzung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Dies birgt die Gefahr, dass Minderjährige häufiger als jetzt älter gemacht werden und dann ungeschützt in den Erwachsenensystemen verbleiben. Das Hauptziel von Alterseinschätzungsverfahren muss jedoch der Schutz von Minderjährigen sein. Ihre Rechte in den Verfahren müssen gestärkt werden“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.

„Seit mehreren Monaten werden verschiedene Forderungen zum Verfahren zur medizinischen Alterseinschätzung diskutiert, die der Öffentlichkeit suggerieren, dass eine gesetzliche Grundlage hier fehlt und die zuständigen Jugendämter in einem weitgehend ungeregelten Raum nach eigenem Gutdünken agieren. Dabei ist die Frage der Alterseinschätzung bereits im Kinder- und Jugendhilfegesetz verbindlich geregelt. Hier gibt es umfangreiche, gute Verfahren, bei denen das Jugendamt auch, bei nicht anders ausräumbaren Zweifeln, eine medizinische Untersuchung zu veranlassen hat. Und wir haben Fachkräfte, die jahrelange Erfahrung mit dieser Aufgabe haben und gute Arbeit leisten. Sie gilt es zu unterstützen und ihre Arbeit anzuerkennen“, sagt Nerea González Méndez de Vigo, Juristische Referentin des Bundesfachverbandes unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Aus Sicht der unterzeichnenden Verbände und Organisationen verkennen die derzeitigen Forderungen nach Gesetzesänderungen zum verstärkten Einsatz medizinischer Methoden bei der Alterseinschätzung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zudem die verfassungsrechtlichen Anforderungen an ärztliche Eingriffe, die keinen Heilzweck verfolgen und sind als nicht zielführende Grundrechtseingriffe abzulehnen. Im Übrigen ist es im Regelfall auch mit bildgebenden Verfahren unmöglich, das Alter so präzise einzuschätzen, dass eine Minderjährigkeit ausgeschlossen werden kann.

Die unterzeichnenden Verbände würden es dahingegen begrüßen, wenn die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Verfahren im Kontext der Alterseinschätzung bei der Jugendhilfe zusammengeführt würden. Denn momentan setzen unterschiedliche Behörden unabhängig voneinander Geburtsdaten fest. Dies führt dazu, dass zum Teil für eine Person unterschiedliche Alter geführt werden. Deshalb sollte die bisherige Regelung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes mit Bindungswirkung gegenüber anderen Behörden ausgestattet, sowie das Rechtsmittelverfahren effektiv ausgestaltet werden.

Ansprechpartnerin:

Nerea González Méndez de Vigo | BumF e.V. | 030 820 97 437 | n.gonzalez@b-umf.de

subsidiär = nachrangig?!

Was ist eigentlich »subsidiärer Schutz«?

Häufig ist in den Medien in den letzten Monaten vom »eingeschränkten« oder »geringwertigeren« subsidiären Schutz die Rede. Solche Formulierungen führen in die Irre.

Der »subsidiäre« (»ergänzende«, »hinzutretende«, »nachgeordnete«) Schutz ist menschenrechtlich begründet. Als die EU-Asylrichtlinie im Jahr 2004 erlassen wurde, bestand Einigkeit, dass der Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) der einheitliche Mindeststandard für humanitären Schutz in Europa werden sollte. Die GFK hat aber Lücken. So schützt sie z.B. nicht vor der Todesstrafe – die aber ist heute in allen EU-Staaten geächtet.

Der europäische Gesetzgeber entschloss sich daher, den GFK-Schutz unter Rückgriff auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) um den Schutz vor Folter, Todesstrafe und Lebensgefahr in kriegerischen Konflikten zu ergänzen. Hierfür wurde der Begriff »subsidiärer Schutz« gewählt.

SUBSIDIÄRER SCHUTZ IST NICHT »EINGESCHRÄNKT«, ER WIRD EINGESCHRÄNKT

Nach dem Konzept des EU-Gesetzgebers sollte der subsidiäre Schutz dem GFK-Schutz grundsätzlich gleichgestellt werden. Beide werden auch zusammengefasst unter dem gemeinsamen Oberbegriff »Internationaler Schutz«. Bis 2015 hatte auch der deutsche Gesetzgeber die Angleichung beider Schutzformen vorangetrieben.

Seitdem besteht die Tendenz, den subsidiären Schutz in der öffentlichen Diskussion abzuwerten. Er ist aber nicht vorläufiger als der GFK-Schutz (auch GFK-Flüchtlingen wird zunächst nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, auch ihr Aufenthalt kann vorzeitig enden, wenn die Gründe für den Schutz entfallen).

Der wesentliche Inhalt des humanitären Schutzes besteht in der Zusicherung, jemanden nicht in den Staat abzuschieben, in dem ihm Gefahr droht.

Er ist auch nicht schwächer: Der wesentliche Inhalt des humanitären Schutzes besteht in der Zusicherung, jemanden nicht in den Staat abzuschieben, in dem ihm Gefahr droht. Hierin sind beide Schutzformen gleich. Subsidiär Geschützte haben auch den gleichen Zugang zu Arbeit und Integrationsangeboten wie GFK-Flüchtlinge.

Einen gravierenden Unterschied macht der deutsche Gesetzgeber beim Familiennachzug. Die nun nochmals verlängerte Verbotsregelung steht aber in Spannung zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte 1987 entschieden, dass auch Ausländer sich auf die Respektierung ihrer familiären Bindungen nach Artikel 6 des Grundgesetzes berufen können und dass jedenfalls eine starre dreijährige Wartefrist unzulässig ist.

WIE REDEN ÜBER DEN SUBSIDIÄREN SCHUTZ?

Die permanente Wiederholung von Formeln wie »eingeschränkter« oder »geringwertiger« Schutz signalisiert, dass der subsidiäre Schutz tatsächlich minderwertig sei. Dies entspricht nicht der Idee, die hinter diesem humanitären Schutz steht. Andererseits ist der Begriff »subsidiär« sperrig und nicht selbsterklärend.

Eine Anregung könnte sein, ihn inhaltlich zu füllen und etwa von »Bürgerkriegsflüchtlingen mit subsidiärem Schutz« zu sprechen. Dies würde anschaulich machen, welche Gruppe heute vor allem den subsidiären Schutz erhält, und gleichzeitig eine Abwertung vermeiden.

Heiko Habbe, Kirchliche Hilfsstelle fluchtpunkt,
erschienen unter https://www.proasyl.de/hintergrund/was-ist-eigentlich-subsidiaerer-schutz/

Das Recht auf Familie gilt für alle

Hamburger Wohlfahrtsverbände kritisieren Kompromiss zum Familiennachzug

Hamburg, 1. Februar 2018. Mit ihrem Kompromiss zum Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge verstoßen CDU und SPD gegen die Rechte der Betroffenen und nehmen Flüchtlingen ihre Zukunftsperspektive. Das stellen die Hamburger Wohlfahrtsverbände anlässlich des heutigen Bundestagsbeschlusses in einem Positionspapier fest. Das Papier wird unterstützt vom Deutschen Gewerkschaftsbund Hamburg, dem Flüchtlingsrat Hamburg, dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche, dem Sozialverband Deutschland Landesverband Hamburg, dem Verband binationaler Familien und Partnerschaften Landesverband Hamburg sowie von der Flüchtlingsbeauftragten der Nordkirche Dietlind Jochims.

Nach dem Beschluss des Bundestags wird die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Flüchtlinge verlängert, bis zum 31. Juli soll eine Neuregelung erarbeitet werden. CDU und SPD haben angekündigt, den Familiennachzug ab dem 1. August auf 1.000 Menschen pro Monat begrenzen zu wollen. Eine bereits bestehende Härtefallregelung soll weiterhin angewendet werden. In ihrem Papier kritisieren die Wohlfahrtsverbände diese Regelung als rechtswidrig sowie inhuman und zeigen die integrationspolitischen Konsequenzen einer Kontingentierung auf. Gemeinsam mit den Unterstützern des Papiers halten die Verbände an der Forderung fest, den Familiennachzug ohne Ausnahme wieder zuzulassen.

Sandra Berkling, stellvertretende Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW), dem Zusammenschluss der Hamburger Wohlfahrtsverbände: „Mit ihrem Kompromiss missachten CDU und SPD konsequent geltendes Recht und handeln außerdem integrationspolitisch höchst fragwürdig. Denn das Recht auf Familie ist vom Grundgesetz geschützt und gilt für alle Menschen, also auch für alle Flüchtlinge, unabhängig vom Schutzstatus. Wenn eine neue Bundesregierung den Zuzug nur 1.000 Menschen pro Monat bzw. in Härtefällen gewährt, verletzt sie dieses Grundrecht. Gleichzeitig erschwert sie den Betroffenen die Integration in unsere Gesellschaft.“

Das Positionspapier der Wohlfahrtsverbände finden Sie hier.

 

Das Fazit des Sprecherrats der Rechtsberaterkonferenz zur beschlossenen Gesetzesänderung i. S. Familiennachzug lautet: Es ist alles sogar noch schlimmer. Rechtsanwalt Heiko Habbe schreibt dazu:

„Als Sprecher der bundesweiten Rechtsberaterkonferenz der Wohlfahrtsverbände befürchten wir, dass dabei übersehen wird, dass der jetzt vorliegende Änderungsantrag eine deutliche Verschlechterung im Vergleich zum Ergebnis der Sondierungsgespräche mit sich bringt. Diese liegt in der ersatzlosen Streichung des § 104 Abs. 13 S. 2 AufenthG. Das hat zur Folge, dass alle subsidiär Geschützten der letzten zwei Jahre gezwungen wären, für einen Familiennachzug ausreichend Einkommen und Wohnraum für alle Angehörigen nachzuweisen. Das ist de facto für kaum einen der Betroffenen zu schaffen, insbesondere nicht, wenn Kinder beteiligt sind.

Durch die Ausgestaltung als reine Ermessensnorm ist zudem zu befürchten, dass die angestrebte Marke von 1.000 Visa pro Monat bei weitem nicht erreicht wird. Die wir für ohnehin zu niedrig halten, weil sich der Nachzug selbst bei voller Ausschöpfung auf fünf Jahre und mehr hinziehen würde.

Infolge dieser beiden Verschärfungen ist auch die Maßgabe des SPD-Parteitags, hier eine Verbesserung zu erreichen, nicht erfüllt. Kein SPD-Abgeordneter dürfte diesem Entwurf zustimmen. Es steht allerdings zu befürchten, dass nicht alle Abgeordneten die komplexe Materie durchdrungen haben.

Mit dem Entwurf werden die Grund- und Menschenrechte der betroffenen Familien zur reinen Verhandlungsmasse, der Familiennachzug zum Gnadenrecht degradiert. Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig, dessen Repräsentanten beständig den Wert der Familie betonen.

Zu einer näheren Darlegung verweisen wir auf die Pressemitteilung. Wir würden uns freuen, wenn Sie sie in Ihrer Berichterstattung aufgreifen würden. Gern stehen wir Ihnen auch für Rückfragen zur Verfügung.“

 

Weitere Informationen zum Thema Familiennachzug finden Sie auf unserer Themenseite.