Offener Brief IMK

Die Flüchtlingsbeauftragten der 13 Kirchenkreise und die landeskirchliche Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche haben sich anlässlich der nächste Woche in Kiel stattfindenden Innenministerkonferenz in einem Offenen Brief an die Innenminister der Länder gewandt. Sie fordern darin eine deutliche Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik.

„Die aktuellen gesetzgeberischen Initiativen und politischen Signale in der Asyl- und Flüchtlingspolitik erfüllen uns insgesamt mit großer Sorge und wir sehen dringenden Bedarf, hier Weichenstellungen zu überdenken“, heißt es in dem Schreiben. Mit drei beispielhaften Forderungen wenden sie sich an die Politiker.

Den Brief finden Sie hier.

Offener Brief

Zivilgesellschaftliche Organisationen wie PRO ASYL, Amnesty International und Save the Children, darunter auch der KOK e.V., haben sich in einem offenen Brief zum „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags gewandt und sie um Verweigerung ihrer Zustimmung zum Gesetz und zukünftigen ähnlichen Gesetzesvorhaben gebeten. Nach Ansicht der Organisationen grenzt das geplante Gesetz selbst Familien und unbegleitete minderjährige Geflüchtete von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus und setzt sie unverhältnismäßigen Sanktionen aus. In dem Brief weisen die Organisationen auf vier besonders problematische Punkte des Gesetzentwurfs hin: der Ausschluss von Sozialleistungen, die Regelungen zu Abschiebungshaft, die vorgesehene Einführung eines neuen „Duldung-light“-Status für Personen, die ihrer „Passbeschaffungspflicht“ nicht nachkommen sowie die langen Vorduldungszeiten für Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung.

Den offenen Breif finden Sie hier.

Erklärung von Palermo

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedfort-Strohm, der höchste Kirchenvertreter der evangelischen Kirche, ist mit Unterstützung von Ansgar Gilster aus dem Kirchenamt Hannover nach Sizilien gereist, um gegen die Festsetzung der Seawatch 3 zu protestieren. Er hat gemeinsam mit dem Bürgermeister von Palermo Leolando Luca die EU-Staaten aufgefordert, für diesen Sommer eine „politische Notlösung“ für die Seenotrettung im Mittelmeer zu organisieren und die Kriminalisierung von Seenotrettung zu beenden. Das Mitte Mai in Italien beschlagnahmte zivile Rettungsschiff darf zwar wieder auslaufen. Doch Italien ermittelt weiter gegen den Kapitän der Seenotretter. Bei einem Besuch stärkte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm der Mannschaft den Rücken.

Her die gesamte Erklärung von Palermo: https://www.ekd.de/verteilmechanismus-fuer-bootsfluechtlinge-gefordert-46692.htm

Der Palermo-Appell des Ratsvorsitzenden und des Bürgermeisters von Palermo, hat parteiübergreifend Unterstützung gefunden:
Robert Habeck, Henriette Reker, Ruprecht Polenz und Gesine Schwan verstärkten zusammen mit Geistlichen aus Deutschland und Schweden die Notwendigkeit, endlich einen europaweiten Verteilmechanismus für Bootsflüchtlinge einzurichten, wie auch die Hilfsbereitschaft von Städten und Kommunen zu nutzen. Sie finden die Videobotschaft,

• bei Facebook: www.facebook.com/ekd.de/videos/382829839000146/
• bei Twitter: https://twitter.com/EKD/status/1135805870405758976
• bei Youtube: https://www.youtube.com/watch?time_continue=8&v=wL38mHM7XJE

Kreuzweg

Am 19. April fand der Kreuzweg für die Rechte der Flüchtlinge zum 20. Mal in Hamburg statt: Dieses Mal unter dem Motto „Denn sie wissen nicht, was sie tun“.

Aus diesem Anlass wirkten der katholische Weibbischof Horst Eberlein und die Ev.-Lutherische Bischöfin Kirsten Fehrs mit. Wir danken für diese solidarische Präsenz!

Hier geben wir die Ansprache von Bischöfin Kirsten Fehrs wider.

EKD über Sea Watch 3 Beschlagnahmung

Am Montag wurde in Italien die Sea Watch 3 beschlagnahmt.  Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm kritisiert das Vorgehen der italienischen Behörden scharf:

„Die Kriminalisierung der Seenot-Rettung muss ein Ende haben“ – EKD-Ratsvorsitzender Bedford-Strohm kritisiert Beschlagnahmung der Sea-Watch und geplante Gesetzes-Verschärfungen für zivile Seenot-Rettungskräfte in Italien.

Angesichts aktueller Meldungen zur Situation ziviler Seenotrettungskräfte in Italien äußert sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, wie folgt:

„Menschen in Seenot muss geholfen werden. Recht und Humanität verpflichten uns hierzu. Darauf haben die Kirchen in den letzten Jahren immer wieder deutlich hingewiesen. Die Beschlagnahmung des zivilen Rettungsschiffs Sea-Watch 3 durch italienische Behörden und die geplanten weiteren Gesetzesverschärfungen für Seenot-Rettungskräfte sollen Lebensrettung im Mittelmeer unmöglich machen. Das Verhalten des italienischen Innenministers widerspricht allem, wofür das Christentum steht. Die Kriminalisierung der Seenotrettung muss ein Ende haben. Nach dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte sollte auch die Bundesregierung in dieser Frage gegenüber Italien deutlich Stellung beziehen. Der Sea-Watch-Crew danke ich für ihren unermüdlichen Einsatz. Erneut wurde dutzenden Menschen das Leben gerettet.“

Die EKD unterstützt zahlreiche Projekte der Flüchtlingshilfe weltweit, die meisten davon in kirchlicher und ökumenischer Trägerschaft. Träger bzw. Projektpartner sind u. a. der Middle East Council of Churches, die Evangelische Kirche in Marokko, das Gustav-Adolf-Werk, die Spanische Evangelische Kirche, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Italien, die Föderation Evangelischer Kirchen in Italien sowie deutschsprachige Auslandsgemeinden. Die Synode der EKD hat im November 2015 Mittel in Höhe von insgesamt rund 6 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe bereitgestellt. Das von Sea-Watch betriebene Aufklärungsflugzeug „Moonbird“ wird von der EKD unterstützt.

12000 Menschen demonstrierten

Am Sonntag, den 19.05.2019 demonstrierten 12000 Menschen in Hamburg für ein Europa für alle. Ein breites Bündnis hatte zur einer Demonstration aufgerufen, die parallel in anderen deutschen und europäischen Städten stattfand. 

Hier ein paar Eindrücke von der Demo:

Grenzen dicht – Interview mit Fiete Sturm

Fiete Sturm ist Diakon in der Seemannsmission Hamburg Altona. Im Rahmen des Projekts Dekonstrukt – Pädagogische Handlungs­möglich­keiten, Zugänge und Distanzierungs­arbeit im Feld der „Neuen Rechten“ (Informationen finden Sie hier) wurde er als Interviewpartner zur Seenotrettung befragt. Was er dazu denkt, sehen Sie hier

Abschiebungsbeobachtung am HH Flughafen

Zwischenbilanz nach einem Jahr:

Nach dem ersten Jahr des Projekts „Abschiebungsbeobachtung am Hamburger Flughafen“ zieht das Diakonische Werk Hamburg eine positive Bilanz.

Dirk Hauer, Leiter des Fachbereiches Migration und Existenzsicherung: „Die Abschiebungsbeobachtung erfüllt ihre unabhängige Kontrollfunktion. Abschiebungen sind für alle Beteiligten immer eine Extremsituation. Die Abschiebungsbeobachtung gewährleistet, dass Abschiebungen nicht mehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.“

In 2018 hat der Abschiebungsbeobachter Felix Wieneke 183 Abschiebungen vom Flughafen Hamburg beobachtet und davon 28 (15 Prozent) als besonders problematisch dokumentiert. Diese Problemanzeigen werden regelmäßig im Flughafenforum Hamburg zwischen Kirchen, Verbänden, Menschenrechtsorganisationen und Behörden besprochen.

Dirk Hauer: „Abschiebungen, die unter humanitären Gesichtspunkten grenzwertig sind, sind keine Einzelfälle.

Das hat die Abschiebungsbeobachtung leider bestätigt. Das ist auch die Folge einer Politik, die sich nur noch an möglichst vielen und möglichst schnellen Abschiebungen orientiert.“

2018 immer wieder aufgetretene Probleme waren:

• fehlende Übersetzerinnen und Übersetzer am Flughafen; die Betroffenen können daher vor Ort kaum kommunizieren

• die starke psychische Belastung von Kindern, etwa wenn sie Zeugen von Zwangsmaßnahmen sind oder wenn Familien getrennt werden

• die unterschiedliche Bewertung der Reisefähigkeit von Kranken durch verschiedene Behörden

• die mangelnde Kooperation und Informationsverweigerung einiger Behörden, die im Forum nicht vertreten sind.

Dirk Hauer: „Als Diakonie Hamburg werden wir uns gegenüber Politik und Verwaltung dafür einsetzen, dass die angezeigten Probleme behoben werden. Unser Ziel ist es, dass wir in einem Jahr deutlich weniger schwierige Situationen am Hamburger Flughafen besprechen müssen.

Forums-Moderator Hans-Peter Strenge, ehemaliger Bezirksamtsleiter in Hamburg Altona und Staatsrat a.D. in der Justizbehörde, beschreibt die Zusammenarbeit im Forum als vertrauensvoll: „Bei allen unterschiedlichen Rollen und Perspektiven haben wir sehr offene und direkte Gespräche führen können, die sich für alle Beteiligten als aufschlussreich und wertvoll erwiesen haben. Dafür danke ich allen Beteiligten herzlich. Das ist auch deshalb ein gutes Zeichen, weil Organisationen der Flüchtlingsunterstützung immer öfter mit unverhohlenem Misstrauen begegnet wird.“

Das Projekt „Abschiebungsbeobachtung am Hamburger Flughafen“ ist ein Projekt des Diakonischen Werks Hamburg und wird finanziert durch die Behörde für Inneres und Sport in Hamburg

Für Rückfragen steht Ihnen im Diakonischen Werk Hamburg Dr. Dirk Hauer gern zur Verfügung (040-30620-367; hauer@diakonie-hamburg.de).

Den Jahresbericht 2018 finden Sie hier.

Ortswechsel Sprechstunde Fluchtpunkt

Die offene Sprechstunde findet in der Eifflerstr. 3 in 22769 Hamburg statt.

Donnerstags 09:30 – 12:30

Beim Kirchenasyl geht es um den Schutz des Einzelnen

Ein Gespräch mit Wolf-Dieter Just

Kirchenasyl hat eine lange Tradition. Trotzdem kommt es darüber regelmäßig zu Spannungen zwischen Kirche und Staat.

Die Kirche versteht sich als Anwältin für Benachteiligte und Schützerin der Menschenwürde und -rechte aller. Dies kann auch bedeuten, Schutzbedürftigen, denen eine Abschiebung in ein für sie unsicheres Land droht, Kirchenasyl zu gewähren. Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ gibt an, dass sich in Deutschland Mitte November 2018 etwa 883 Personen in 553 aktiven Kirchenasylen befanden. Bei der Mehrzahl der Menschen im Kirchenasyl geht es darum, eine im Rahmen des Dublin-Verfahrens vorgesehene Überstellung in ein anderes EU-Mitgliedsland zu verhindern, damit über den Asylantrag letztendlich in Deutschland entschieden wird. Ein Gespräch mit dem promovierten Theologen und emeritierten Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum, Wolf-Dieter Just.

Herr Just, was genau ist Kirchenasyl?

Ein Kirchenasyl ist die befristete Aufnahme von Geflüchteten in den Räumen einer Kirchengemeinde, denen bei einer Abschiebung Folter, Tod oder menschenrechtswidrige Härten drohen. Es soll Zeit gewonnen werden, damit das Schutzbegehren der Geflüchteten noch einmal sorgfältig unter rechtlichen, sozialen und humanitären Gesichtspunkten geprüft werden kann. So kann nachgewiesen werden, ob Entscheidungen der Behörden revisionsbedürftig sind oder nicht. Denn Irren ist menschlich – es kann immer zu Fehlentscheidungen kommen. Daher empfiehlt es sich in manchen Fällen, einen Asyl-Folgeantrag zu stellen. Direkt am ersten Tag werden die Behörden durch die Kirchenasyl gewährende Gemeinde informiert, dass sie einen Geflüchteten in Schutz genommen hat. Das Kirchenasyl ist also nicht geheim!

Seit wann gibt es die Tradition des Kirchenasyls?

Schon in der Antike gab es die Tradition, an heiligen Stätten wie Tempeln, Grabstätten oder heiligen Hainen Menschen Schutz zu gewähren. Innerhalb dieser Tabuzonen sollten Menschen z.B. vor Lynchjustiz oder Blutrache bewahrt werden, vor allem wenn nicht klar war, ob sie schuldig waren oder nicht. Im alten Israel musste Blutrache verübt werden, wenn ein Mensch getötet wurde. Der Tötende musste dann selbst wieder getötet werden – ein unheilvoller Kreislauf. Um das zu vermeiden, wurden sechs sogenannte Asylstädte auf beiden Seiten des Jordans gegründet. Dort konnten Menschen Schutz suchen, die von Blutrache bedroht waren. Die Asylstädte boten sozusagen Möglichkeiten der Revision des Gerichtsverfahrens in einem noch unausgebildeten Rechtssystem. Das eigentliche Kirchenasyl kam dann im Mittelalter: Die Schutzfunktion griechischer und römischer Tempel ging über an die Kirchen. Das moderne Kirchenasyl hat in Deutschland 1983 begonnen mit drei palästinensischen Familien in Berlin, die von Abschiebungen in das Bürgerkriegsland Libanon bedroht waren. Sie mussten um ihr Leben fürchten, wenn sie in den Krieg zurückgeschickt würden. Die Heilig-Kreuz-Gemeinde schützte diese Geflüchteten in ihren Räumen, und am Ende war dieses Kirchenasyl erfolgreich. Sie haben nach einer gewissen Zeit Asyl erhalten und konnten in Deutschland bleiben. Dieser Fall und andere aus dem Ruhrgebiet waren die Anfänge, die sich dann weiterentwickelt haben. In Berlin wurde in den 1980er-Jahren das Netzwerk „Asyl in der Kirche“ gegründet, dem bald 50 Gemeinden angehörten, die bereit waren, für Geflüchtete einzutreten und sie zu schützen, wenn ihnen im Falle einer Abschiebung Gefahr für Leib und Leben drohte.

Sie waren maßgeblich an der Gründung der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ beteiligt. Wie kam es dazu?

Nach der Gründung des Berliner Netzwerks „Asyl in der Kirche“ entstanden weitere Ländernetzwerke, z.B. 1993 in NRW. Im Jahr 1994 wurde dann die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ bei einer Tagung der Evangelischen Akademie in Mülheim an der Ruhr gegründet. Die habe ich geleitet und zusammen mit dem Deutschen Caritasverband dazu eingeladen. Aus fast allen Bundesländern kamen Vertreterinnen und Vertreter, außerdem noch aus den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Zusammen haben wir die Bundesarbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen.

Was gab den Anstoß für die Gründung?

Anlass waren die drastischen Einschränkungen des Asylrechts in Deutschland durch den sogenannten Asylkompromiss von 1993 zwischen der regierenden schwarz-gelben Koalition und der damals oppositionellen SPD. Damit wurde eine Änderung des Asylartikels 16 im Grundgesetz beschlossen – zusammen mit dem Asylverfahrensgesetz und dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das Asylbewerberleistungsgesetz sah soziale Leistungen für Asylbewerber und -bewerberinnen vor, die deutlich unter Sozialhilfeniveau lagen. Zudem hatte sich das asylpolitische Klima drastisch verschlechtert. Schon 1993 gab es ca. 35.000 Abschiebungen und ähnlich viele 1994. Man hatte nicht den Eindruck, dass der Einzelfall hinreichend geprüft wurde. In dieser Situation wollten viele Initiativen Geflüchtete schützen. Oft blieb als letzter Ausweg das Kirchenasyl, welches daraufhin auch zunehmend in Anspruch genommen wurde. Darüber gab es allerdings bald Streit. Manche Politiker und Juristen meinten, Kirchenasyl sei Rechtsbruch, andere widersprachen. In der Bevölkerung gab es damals bereits eine überraschend positive Meinung. Eine Forsa-Umfrage von 1994 ergab, dass 62 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger die Gewährung von Kirchenasyl richtig fanden, wenn den Geflüchteten bei einer Abschiebung Schlimmes drohte. Nur 29 Prozent waren dagegen.

Inwiefern hat sich der politische Kontext seitdem verändert? Wie reagiert die Mehrheitsgesellschaft auf Kirchenasyl, insbesondere seit dem sogenannten Sommer der Migration 2015?

Schon 1992 kamen fast eine halbe Million Geflüchtete nach Deutschland. Das war der Grund für die Verschärfung des Asylrechts und asylfeindliche Stimmungen im Land. 2015 kamen noch mehr Asylsuchende ins Land, rund 890.000. Aber – anders als 1992 – war das gesellschaftliche Klima zunächst durchaus freundlich. Es gab eine Willkommenskultur, sehr viele Menschen engagierten sich für Geflüchtete. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich nach dem Herbst 2015 mindestens jede/r zehnte Bundesbürger oder Bundesbürgerin in irgendeiner Weise für Geflüchtete einsetzt. Aber auch die Gegenkräfte wurden stärker. Was das betrifft, ist die Gesellschaft heute stärker gespalten. Nachdem 2015 viele Geflüchtete aus humanitären oder anderen plausiblen Gründen aufgenommen wurden, kam die Gegenreaktion von rechter Seite, insbesondere von der AfD, aber auch von den Unionsparteien. Dies fand seinen Niederschlag in erheblichen Verschärfungen des Asylrechts, den Asylpaketen 1 und 2 sowie im Integrationsgesetz. Geflüchteten soll damit deutlich gemacht werden, dass es sich nicht lohnt, nach Deutschland zu kommen. Mit Erfolg: Die Zahl der Geflüchteten ist seitdem deutlich zurückgegangen. Auch das Kirchenasyl erlebt politisch heftige Gegenreaktionen: Die AfD z.B. macht Eingaben in den Landtagen, um gegen das Kirchenasyl vorzugehen. Die Partei hat sogar verlangt, Namen von Kirchen, ihren Gemeinden und von Geflüchteten im Kirchenasyl öffentlich zu machen und darüber Statistik zu führen. Andererseits hat das Kirchenasyl inzwischen eine gewisse humanitäre Tradition, die auch von den regierenden Parteien in Bund und Ländern nicht bestritten wird. Das zeigte sich u.a. bei der Innenministerkonferenz im Juni 2018 und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Was diese jedoch kritisieren, ist, dass es zu viele Kirchenasyle seien. Ihre Kritik bezieht sich vor allem auf die so genannten Dublin-Kirchenasyle. Durch sie sollen Menschen davor geschützt werden, im Rahmen des Dublin-Verfahrens in andere EU-Mitgliedstaaten abgeschoben zu werden, wenn ihnen dort z.B. Haft oder Obdachlosigkeit drohen wie in Bulgarien, Ungarn, Italien und Griechenland. Stattdessen soll erwirkt werden, dass in Deutschland über ihren Asylantrag entschieden wird. Durch die Dublin-Kirchenasyle hat sich die Zahl der Kirchenasyle seit 2011 mehr als verzehnfacht: 2011 hatten wir 32 Kirchenasyle und jetzt, im November 2018, sind es 553. Die Zahl der Kirchenasyle ist aber auch gewachsen, weil die Zahl der Geflüchtete in Deutschland insgesamt erheblich zugenommen hat. Leider wird das Kirchenasyl durch die Politik immer mehr erschwert.

Die Innenministerkonferenz hat im Juni 2018 entschieden, dass die Frist zur Überstellung von Schutzsuchenden, die sich im Kirchenasyl befinden und für deren Asylverfahren gemäß der Dublin-Regelung ein anderer EU-Staat zuständig ist, von sechs auf 18 Monate verlängert werden darf, wenn kein Härtefall vorliegt. Was bedeutet das für das Kirchenasyl?

Zunächst einmal bedeutet das eine starke Belastung für die Geflüchteten, die ein ganzes Jahr länger im Kirchenasyl ausharren müssen, sich nicht frei bewegen können und auf fremde Hilfe angewiesen sind. Zum anderen bedeutet das natürlich auch eine höhere Belastung für die Gemeinden. Sie müssen sich in Zukunft genau überlegen, ob sie überhaupt in der Lage sind, so lange auf die entsprechenden Räume zu verzichten, die für ein Kirchenasyl erforderlich sind. Außerdem kostet es Geld und auch mehr Humanpower. Das erschwert die Sache des Kirchenasyls in unverhältnismäßiger Weise.

Sie kritisieren die Verschärfungen im staatlichen Umgang mit Kirchenasyl. Warum?

Wir halten die Verlängerung auf 18 Monate für rechtswidrig. Denn es heißt in der Dublin- Verordnung (Artikel 29 (2)): Wenn ein Geflüchteter „flüchtig“ ist, verlängert sich die Überstellungsfrist auf 18 Monate. Geflüchtete sind aber nicht flüchtig, wenn vom ersten Tag an das Kirchenasyl und der neue Aufenthaltsort der Geflüchteten den Behörden gemeldet wird. Deswegen ist auch von Gemeinden gegen die Verlängerung der Dublin-Frist geklagt worden und einige Verwaltungsgerichte haben uns Recht gegeben. Einige Klagen haben sogar dazu geführt, dass nach sechs Monaten das Selbsteintrittsrecht[1] erklärt werden musste, Deutschland also für das Asylverfahren zuständig wurde. Die Sache ist aber rechtlich noch nicht endgültig entschieden.

Welche Ziele und politische Forderungen verfolgt Kirchenasyl? Wofür soll eingestanden werden?

Das einzelne Kirchenasyl verfolgt keine unmittelbar politische Absicht. Es geht beim Kirchenasyl immer um den einzelnen Geflüchteten, der Schutz braucht. Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ versteht sich als Menschenrechtsorganisation. Es geht darum, dass wir Geflüchtete schützen, denen im Falle einer Abschiebung Menschenrechtsverletzungen drohen. Deutschland bekennt sich in Artikel 1 des Grundgesetzes zur Unantastbarkeit der Menschenwürde und zu unveräußerlichen Menschenrechten. Wenn aber die Politik diese normativen Vorgaben nicht mehr so ernst nimmt, wie das im Augenblick durch die Asylpolitik geschieht, dann ist es, denke ich, auch eine staatsbürgerliche Pflicht, dass Bürger und Bürgerinnen dagegen aufbegehren und im konkreten Fall Geflüchtete vor Unrecht bewahren. Wir wollen prinzipiell nicht Recht brechen, sondern Recht schützen. Grundsätzlich braucht der Staat Bürger und Bürgerinnen, die sich für die Verfassung einsetzen, für den Erhalt der Würde und Rechte jedes Einzelnen. Insofern ist die Zivilgesellschaft ein wichtiges Korrektiv.

Inwieweit ist Kirchenasyl ein Korrektiv?

In 80-90 Prozent der Fälle ist das Kirchenasyl erfolgreich, d.h. es wurde festgestellt, dass gar nicht abgeschoben werden durfte, da humanitäre Gründe dagegensprachen. Da stellt sich natürlich die Frage, wie grundrechtskonform das deutsche Asylverfahren eigentlich aufgestellt ist. Das Kirchenasyl ist eine Möglichkeit, Fehlentscheidungen der zuständigen Behörden und Gerichte zu revidieren. Aus dem Grund ist im Februar 2015 eine besondere Vereinbarung zwischen Katholischer Kirche, der Evangelischen Kirche sowie den evangelischen Freikirchen in Deutschland mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zum Umgang mit Kirchenasylen getroffen worden. Teil der Vereinbarung ist die Durchführung einer Art Härtefallprüfung insbesondere bei Dublin-Fällen vor Beginn oder während eines Kirchenasyls. Darin liegt eine Anerkennung, dass humanitäre Härten im Einzelfall übersehen werden können. Kein Gesetz ist so perfekt, dass es wirklich jeden Einzelfall in menschengerechter Weise löst. Darum gibt es ja auch in allen Bundesländern Härtefallkommissionen, die ebenfalls ein Erfolg der Kirchenasylbewegung sind. Sie können contra legem entscheiden, also gegen den Wortlaut einer geltenden rechtlichen Norm, dass ein Geflüchteter ein Bleiberecht erhält, wenn ihm unverhältnismäßige menschliche Härten drohen.

Die Migrations- und Asylpolitik der Bundesregierung ist also ein Konfliktfeld zwischen Kirche und Staat?

Die Kirchen haben nicht verhindern können, dass seit 2015 das Asylrecht erheblich verschärft worden ist. Ich finde es skandalös, dass die Europäische Union, die sich als „Wertegemeinschaft“ versteht und zu den Menschenrechten bekennt, eine derartige Abschottungspolitik betreibt. Tausende Menschen ertrinken jedes Jahr im Mittelmeer und die Staaten schauen zu. Die Politik behindert sogar die zivile Seenotrettung und kriminalisiert Helfende, die Menschen vor dem Ertrinken retten wollen. Durch all das macht sich Europa unglaubwürdig in der Welt. Hier gibt es einen bisher ungelösten Konflikt zwischen den Auffassungen der Kirche und der Politik der Europäischen Union und Deutschlands.

In Ihrem Text „20 Jahre Kirchenasylbewegung“ von 2003 schreiben Sie: „Es gibt kein kirchliches Recht, Asyl zu gewähren. Staatliches Recht gilt auch in Kirchen und soll nicht relativiert werden. Es gibt aber eine kirchliche Beistandspflicht, auf die sich Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, berufen können.“ Weiterhin schreiben Sie, dass Kirchenasyl in der Regel mit Rechtsvorschriften in Einklang steht und daher kein ziviler Ungehorsam ist. Das sehen die Innenminister von Bund und Ländern vermutlich anders.

Es ist auch in den Kirchen umstritten, ob Kirchenasyl eine Rechtsverletzung darstellt oder nicht. Denn nur im Falle einer Rechtsverletzung kann man von zivilem Ungehorsam sprechen. Ziviler Ungehorsam heißt ja, dass rechtliche Bestimmungen bewusst übertreten werden z.B. aus humanitären Gründen, weil man befürchtet, dass Menschenrechte verletzt werden. Ziviler Ungehorsam heißt also auch, dass man bestimmte Werte gegen geltendes Recht verteidigt, weil sich positives Recht auch zu Unrecht entwickeln kann und seine Legitimation verliert. Es kommt zu einer Spannung, einem Konflikt, zwischen Legalität und Legitimität. Ursprünglich habe auch ich Kirchenasyl für zivilen Ungehorsam gehalten – so 1993 in meinem Buch „Asyl von unten“. Später hat mich der ehemalige Justizminister Jürgen Schmude vom Gegenteil überzeugt, indem er gesagt hat: Nein, im Kirchenasyl liegt keine Rechtsverletzung vor. Warum sollen Kirchengemeinden nicht Flüchtlinge aufnehmen und ihnen beistehen? Es gibt doch eine kirchliche Beistandspflicht. So lange dem Staat bekannt ist, wo sich die Geflüchteten aufhalten, hat er ja die Möglichkeit, sie von dort wegzuholen. Es gibt aber eine gewisse Scheu von Seiten des Staates, mit Gewalt in Kirchen einzudringen. Kirchen sind immerhin Orte, an denen die Botschaft des Friedens und der Versöhnung gepredigt wird. Dort mit Polizei einzudringen ist ein Sakrileg. Da also Kirchengemeinden vom ersten Tag an den Behörden mitteilen, wo die Geflüchteten sich aufhalten, sehe ich im Kirchenasyl keine Rechtsverletzung und damit auch keinen zivilen Ungehorsam.

Welche politischen Veränderungen in Bezug auf die Wahrung der Grund- und Menschenrechte aller wünschen Sie sich für die Zukunft?

Keine Abschottung mehr: Die Inanspruchnahme des Asylrechts wird so gut wie unmöglich gemacht, indem man die Zugangswege versperrt und alle Menschen zu Illegalen erklärt, die trotzdem versuchen, ins Land zu kommen und Asyl zu beanspruchen. Daher verlangen wir von der Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ schon lange legale Zugangswege zum Asylrecht in Europa und Deutschland. Außerdem sind wir für eine Abschaffung des nicht funktionierenden Dublin-Systems. Es sollte ersetzt werden durch ein System, das die Menschenrechte wahrt. Schließlich wünschen wir uns mehr Menschlichkeit im Umgang mit den Geflüchteten, die bereits hier sind.

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers „Zivilgesellschaftliches Engagement in der Migrationsgesellschaft“, erschienen auf bpb.de.