Kritik an Koalitionsverhandlungen

Diakonie warnt vor Wende in der Flüchtlingspolitik

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie fordert von Union und SPD Nachbesserungen bei Koalitionsverhandlungen

Berlin, 13. Januar 2018

Nach den Sondierungen von CDU/CSU und SPD für eine Große Koalition befürchtet die Diakonie Deutschland eine Wende in der Flüchtlingspolitik zu Lasten der Schutzbedürftigen.

„SPD und Unionsparteien verfolgen offenbar mit Vorrang, dass möglichst viele Geflüchtete rasch wieder ausreisen“, sagt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Dies sei ein Rückschritt zu den bisherigen Zielen und Erfolgen zur Integration.

Lilie ist enttäuscht darüber, dass die Hürden für den Familiennachzug zu Geflüchteten mit subsidiärem Schutz nicht abgeräumt werden. „Die Diakonie appelliert an die Parteien, in den anstehenden Koalitionsverhandlungen noch einmal deutlich nachzubessern“, sagt Lilie. „Eine Begrenzung auf 1.000 Personen im Monat ist für das wirtschaftlich prosperierende Deutschland kleinherzig.“ Vor allem unbegleitete Minderjährige bräuchten den Anschluss an ihre Angehörigen.

Die Diakonie sieht besonders die geplanten zentralen Aufnahmezentren kritisch.

In diesen Zentren sollen Flüchtlinge so lange bleiben, bis über Verbleib oder Rückführung entschieden ist. Vor allem die Beratungsarbeit der Wohlfahrtsverbände für die Geflüchteten werde dadurch erschwert. „CDU/CSU und SPD sagen nichts über eine flächendeckende und unabhängige Asylverfahrensberatung“, bemängelt Diakonie-Präsident Lilie. „Die Jamaika- Sondierungen waren an dieser Stelle weiter gekommen.“

Kommentar zum Kirchenasyl

5. Dezember 2017 – Ein Kommentar zur aktuellen Berichterstattung zum Thema Kirchenasyl

Worüber reden wir eigentlich beim Thema Kirchenasyl?

Deutliche Kritik an der Zahl der von Kirchengemeinden, Klöstern und Ordensgemeinschaften gewährten Kirchenasyle wurde diese Woche laut. Viele Zeitungen und Medien – auch Ihre – haben dieser Kritik Raum gegeben. Wir als Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche fragen: Worüber reden wir gerade?

Kirchen geht es mit jedem Kirchenasyl um die Verhinderung einer unzumutbaren Härte im Einzelfall. Immer mit Kenntnis und im Kontakt mit den zuständigen Behörden. Grundsätzlich ist das auch von den meisten akzeptiert. Aber worum geht es in der momentanen Diskussion?

Geht es um Zahlen? Um zu viele Kirchenasyle? Wir wissen von aktuell etwa 350 Kirchenasylen bundesweit. 530 Menschen haben in ihnen vorübergehend Schutz gefunden. Ja, die Zahl ist gestiegen in den letzten Jahren. Die der Geflüchteten auch. Proportional hat sich die Zahl nicht erhöht.

Geht es darum, dass es sich nicht um „echte Härten“ handeln könne, weil die meisten doch „nur“ in ein anderes europäisches Land abgeschoben werden sollen?

Dann würden wir gern fragen: Ist die junge Frau aus Eritrea, die nach kaum vorstellbarem Leid auf ihrer Flucht in Italien weder Unterkunft noch Versorgung erhielt, die auf der Straße leben musste, mehrfach sexuellen Übergriffen ausgesetzt war und mit Aids infiziert wurde, aber dort keine medizinische Behandlung erhielt, jetzt aber nach Italien rücküberstellt werden soll, kein besonderer Härtefall?

Ist es keine unzumutbare Härte, eine Familie mit vier kleinen Kindern nach Norwegen abzuschieben, das ihnen bereits die Abschiebung nach Afghanistan angekündigt hat, wo ihr Leben in Gefahr ist? Norwegen schiebt auch Familien nach Afghanistan ab.

Oder ist der 18-Jährige, der – weil volljährig – von seiner Familie getrennt nach Bulgarien zurück soll, wo die ganze Familie inhaftiert wurde, kein Härtefall?

Oder reden wir darüber, ob Kirchenasyl in einem Rechtsstaat einen Platz hat? Wir sind überzeugte Demokrat*innen; froh, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Aber wir sind nicht naiv, zu meinen, dass Verwaltungshandeln in einem Rechtsstaat immer fehlerfrei sei. Und manchmal dient ein Kirchenasyl auch dazu, Verwaltungshandeln noch einmal zu überprüfen. Also, worüber reden wir?

Wir würden sehr gerne darüber reden, wie wir nicht nur in Kirchenasylfällen gemeinsam Menschenrechtsverletzungen und besondere Härten für Geflüchtete vermeiden könnten.

Mit freundlichen Grüßen,

Dietlind Jochims
Vorsitzende der Ökumenischen BAG Asyl in der Kirche e.V.
dietlind.jochims@oemf.nordkirche.de

Sorge um Flüchtlingsschutz

…bei EU-Asylrechtsreform

 

Am 14. Dezember hat bekanntermaßen eine sehr kontroverse Debatte im EU-Rat in Brüssel zum Thema Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme stattgefunden. Wie schon berichtet, wird eine Verpflichtung nach Quote von den Visegrad-Staaten abgelehnt. Wenn Flüchtlingsaufnahme in diesen Mitgliedstaaten nicht von gemeinsamen menschenrechtsbasierten Werten getragen, sondern nur eine Pflichtübung wird, darf zurecht bezweifelt werden, ob im Ergebnis effektiv mehr Raum für internationalen Schutz in der EU entsteht, den so dringend benötigt wird. Der Zusammenhalt der EU wird durch diese Diskussion gefährdet. Das ist bedauerlich, denn die Anzahl von Flüchtlingen, um die es für die EU tatsächlich geht, fällt im weltweiten Vergleich gerade zu beschämend klein aus. Dennoch ist die Situation im Rat verfahren, bis Juni 2018 soll nun weiter um das zukünftige Dublin-System gerungen werden. Leider steht zu befürchten, dass bei der Reform vor allem ein Konsens für Externalisierung und Restriktionen, insbesondere Sanktionen bei Sekundärmigration gefunden wird.

 

Caritas und Diakonie wenden sich gegen Absenken von Schutzkriterien

Berlin, 14. Dezember 2017. „Europa muss ein Kontinent der Humanität und Solidarität bleiben und die Tür offen halten für Schutzsuchende Männer, Frauen und Kinder – dabei muss jedes Land Verantwortung übernehmen“, fordern die Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes und der Diakonie Deutschland, Peter Neher und Ulrich Lilie, anlässlich des heutigen Treffens des Europäischen Rates.

Caritas und Diakonie befürchten nicht nur, dass die derzeit durch die EU- Kommission beabsichtigte Umgestaltung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) die Lebensbedingungen für Schutzsuchende in den EU-Mitgliedstaaten verschlechtert, sondern vor allem auch, dass der Zugang zu einem fairen Asylverfahren erheblich behindert, oder sogar faktisch verhindert wird.

„Die Politik der EU darf nicht darauf zielen, die Fluchtwege von Menschen, die in ihren Heimatländern verfolgt werden, in unsicheren und unfreien Transitstaaten enden zu lassen.  Sie  müssen einen Antrag auf internationalen Schutz in der Europäischen Union stellen können und es muss gewährleistet sein, dass sie eine bedarfsgerechte und menschenwürdige Versorgung erhalten, egal wo in der EU sie sich aufhalten“, fordert Caritas-Präsident Neher.

Derzeit wird besonders unter den EU-Mitgliedstaten im Europäischen Rat um die Zukunft des Dublin-Systems, das die Verteilung der Asylsuchenden innerhalb der EU regelt, gerungen. Dazu appelliert Diakonie-Präsident Ulrich Lilie an die Mitgliedsstaaten, insbesondere die Bundesregierung, sich an Stelle der vorgeschlagenen Sanktionen und Zwangsmaßnahmen für Staaten und Schutzsuchende für finanzielle Unterstützung und positive Anreize einzusetzen. „Ein gerechtes und funktionierendes Verteilsystem für Schutzsuchende wird nur dann Erfolg haben, wenn es von möglichst allen Seiten akzeptiert wird. Individuelle Kriterien und Interessen der Schutzsuchenden sowie die Aufnahmebereitschaft von Regionen und Kommunen müssen stärkere Berücksichtigung finden. Dazu gehört auch, dass Flüchtlinge nach einer Anerkennung am Europäischen Binnenmarkt teilhaben können“, erklärt Lilie.

Beide Wohlfahrtsverbände betonen, dass es fatal sei, bei Flüchtlingen, die nicht im Erstaufnahmeland geblieben sind, die Unterstützung auf Kernleistungen zu beschränken. Dies betreffe auch die gesundheitliche Versorgung. Eine medizinische Notfallversorgung, die unter dem Niveau des physischen Existenzminimums liegt, sei nicht ausreichend.

Der Europäische Rat muss mit einer Teilung der Verantwortung und der mit den Asylverfahren verbundenen Lasten unter den EU-Mitgliedsstaaten die Voraussetzung dafür schaffen, dass Europa als Raum der Freizügigkeit und der internationalen Verantwortung glaubwürdig und zukunftsfähig bleibt. Europa muss für gemeinsame Werte, humanitäre Rechtsprinzipien und die Wahrung von Menschenrechten stehen.

Die Europäische Union darf nicht hinter die über viele Jahre hinweg entwickelten Standards zurückfallen, auch nicht bei den Zugängen zu Asylverfahren.

 

Auf Basis einer empirischen Studie mit Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat beleuchtet die neue Kurzinformation des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) -Forschungsbereichs die zwei Kardinalprobleme des GEAS: die mangelnde Fairness gegenüber Asylbewerberinnen und Asylbewerbern durch die ungleichen Schutzquoten in Europa und die unzureichende Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten bei der Flüchtlingsaufnahme.

So lagen 2016 die Chancen irakischer Asylsuchender auf Schutzgewährung in Ungarn und im Vereinigten Königreich bei jeweils unter 13 Prozent; in Spanien und in der Slowakei hingegen bei 100 Prozent.
Während Deutschland und Schweden in den letzten Jahren deutlich mehr Flüchtlinge aufgenommen haben, als es nach einem fairen Verteilschlüssel angemessen gewesen wäre, bleiben die meisten anderen Mitgliedstaaten weit hinter ihrem Soll zurück – darunter z. B. auch Frankreich und das Vereinigte Königreich. Beide waren bis 2012 wichtige Stützen des GEAS, schultern seitdem aber kontinuierlich einen immer geringeren Anteil der Flüchtlingsaufnahme.
Mehr Verantwortungsteilung und die Angleichung der Entscheidungspraxis sind Schlüsselelemente für das Funktionieren des GEAS – nicht zuletzt, weil sie eng miteinander verzahnt sind.

Die in Kooperation mit der schwedischen Migration Studies Delegation (Delmi) entstandene Kurzinformation beschreibt Szenarien, formuliert Empfehlungen und bewertet die Perspektiven der Weiterentwicklung der internen EU-Flüchtlingspolitik zu einem echten gemeinsamen Asylsystem. Sie kann hier abgerufen werden: www.svr-migration.de/publikationen/reform_geas/

Familien-Adventskalender

 Geschichten statt Schokolade

Im Online-Adventskalender der Flüchtlingsbeauftragten der Nordkirche gibt es hinter jedem Türchen die Geschichte einer geflüchteten Familie. Ab dem 1. Dezember können Sie unter www.familien-adventskalender.de 24 Zeugnisse von Geflüchteten, der Sehnsucht nach ihren Familien und den Hindernissen, die dem Zusammenleben entgegenstehen, lesen. Alle Erzähler*innen leben hier im Norden als unsere Nachbarinnen und Nachbarn.

Wir freuen uns, wenn Sie mitlesen und den Adventskalender weit verbreiten – online (per Mail, auf Ihrer Website, in den Social Media) und in Gesprächen. Vielleicht teilen Sie auch die Einschätzung, die sich für uns daraus ergibt: Familien gehören zusammen!

Ohne Worte: 6.12. Sammelabschiebung!

PRO ASYL fordert: die für den 6. Dezember geplante Abschiebung stoppen

Die für den 6. Dezember geplante Abschiebung ist unverantwortlich. Laut Spiegel Online sollen 78 Personen abgeschoben werden. PRO ASYL appelliert an Bundesregierung und Bundesländer Abschiebungen nach Afghanistan zu stoppen: Abschiebungen nach Afghanistan sind in der konkreten, sich immer weiter verschärfenden Lage nicht zu vertreten. Bund und Länder müssen die Fakten anerkannter Quellen sowie die immer neuen Anschläge mit vielen getöteten Zivilisten endlich zur Kenntnis nehmen. Nirgendwo in Afghanistan ist es sicher. Niemand weiß, wo die angeblich »sicheren Gebieten« liegen sollen.

PRO ASYL ist empört, dass Abschiebungen fortgesetzt werden, obwohl kein aktueller Lagebericht des Auswärtigen Amtes vorliegt. Der letzte Stand vom Oktober 2016 liefert den Behörden keine Informationen, um zu beurteilen, ob es in Afghanistan sogenannte »inländische Fluchtalternativen« gibt, die für die Betroffenen zumutbar und erreichbar sein müssen. Der im Juli 2017 veröffentliche Zwischenbericht liefert hierzu ebenfalls keine Beschreibungen. »Abschiebungen nach Afghanistan basieren auf faktenfreien Spekulationen ins Blaue hinein, die Menschenleben gefährden«, warnte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiet sind nicht vertretbar

Afghanistan ist ein Bürgerkriegsland, dessen Sicherheitslage sich stetig verschlechtert. Folgt man dem Global Peace Index 2017, ist Afghanistan das zweitunsicherste Land der Erde, nur Syrien wird als noch gefährlicher eingeschätzt. Erst im Oktober 2017 gab es die blutigsten Anschläge der jüngsten Zeit in Afghanistan. Die Taliban haben Offensiven gestartet, die immer wieder viele Todesopfer unter den Zivilisten fordern. Der Krieg in Afghanistan besteht aber nicht nur zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung – er zeichnet sich gerade durch eine Vielzahl militanter Gruppierungen aus. Es liegen außerdem ausführliche Dokumentationen über Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverstöße zahlreicher Akteure auf Seiten der Regierungen nach 2001 vor. Dies bestätigt auch die jüngste Entwicklung, dass der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag erwägt, Untersuchungen in Afghanistan zu beginnen.

Aktuell warnt selbst die Bundesregierung für alle aus Deutschland Kabul anfliegenden Flüge vor Raketenangriffen und »gezielten Flugabwehr-Attacken« auf allen Flughäfen in Afghanistan: »The Federal Republic of Germany advises all German operators not to plan and conduct flights within FIR Kabul (OAKX) below FL330 including take off and landings at all airports due to potential risk to aviation from dedicated anti-aviation and ground to ground weaponry and ground attacks on aerodrome infrastructure.« Erst am 27. September schlugen unmittelbar nach der Landung des NATO-Generalsekretärs und der US-amerikanischen Verteidigungsministers in Kabul Raketen und Mörsergeschosse auf dem Kabuler Flughafen ein.

Unterschiedliche Auslegungspraxis in den Bundesländern

Behauptet wird, man könne »Straftäter, Gefährder und hartnäckige Identitätsverweigerer« ohne Gefahr für Leib und Leben weiterhin abschieben.

Besonders dehnbar scheint der Begriff der »Ausreisepflichtigen, die hartnäckig ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern«. Regelmäßig wird Asylsuchenden unterstellt, über ihre Identität getäuscht zu haben. PRO ASYL war mit dem Fall eines afghanischen Schutzsuchenden aus Bayern befasst, dem ein solches Verhalten vorgeworfen wurde. Tatsächlich aber hatte er sich um einen Pass bemüht und beim afghanischen Konsulat vorgesprochen, wie ihm schriftlich bestätigt wurde. Der Pass wurde ihm jedoch verweigert, da er keine Tazkira (eine afghanische Geburtsurkunde, die man nur in Afghanistan bekommt) besitzt. Der junge Mann hatte fast sein gesamtes Leben im Iran verbracht. Eine solche Geburtsurkunde kann man von Deutschland aus auch nicht beantragen. Weitere Bemühungen waren ihm somit nicht möglich, da er keinerlei Verwandte in Afghanistan hat. Dass seine Identität aber gesichert ist, ergibt sich aus einem Gerichtsbeschluss zur Abschiebungshaft.

Griechenland-News

Streiks auf Lesbos wegen schlimmer Lage in Flüchtlingslagern

20.11.2017
Athen. Aus Protest gegen die dramatische Lage in den Flüchtlingslagern auf Lesbos sind die meisten Geschäfte, die Schulen und die Kommunalbehörden auf der griechischen Ostägäis-Insel am Montag geschlossen geblieben. Zu dem Generalstreik hatte der Bürgermeister der Inselhauptstadt Spyros Galinos aufgerufen. Am Vormittag gingen Hunderte Menschen auf die Straßen. »Entlastet unsere Insel. Die Menschen (Flüchtlinge) leben unter miserablen Bedingungen«, hieß es auf Transparenten, wie das griechische Fernsehen berichtete. »Lesbos ist kein offenes Gefängnis«, sagte Bürgermeister Galinos griechischen Medien am Montag.

Es könne nicht sein, dass im Raum der Inselhauptstadt Mytilini mehr als 8000 Migranten in zwei Lagern zusammengepfercht leben müssen. Das sei das Dreifache der Kapazität der Aufnahmelager. Dringend müssen sie zum Festland gebracht werden, so Galinos weiter. Die Migranten müssten Monate auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten. Und immer kämen neue Flüchtlinge dazu. In einem Flüchtlingslager auf der Insel war es am Vorabend zu Krawallen gekommen, wie Augenzeugen im griechischen Fernsehen berichteten. dpa/nd

 

Flüchtlinge Generalstreik auf Lesbos

Inselbewohner wollen auf die schlechte Lage für Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos aufmerksam machen.

Es ist ein Hilferuf: Auf der griechischen Ägäisinsel Lesbos sollen an diesem Montag alle Behörden, Betriebe und Geschäfte geschlossen bleiben. Mit einem Generalstreik wollen die Inselbewohner auf die katastrophalen Umstände aufmerksam machen, unter denen rund 8300 Flüchtlingen und Migranten auf der Insel leben – in Unterkünften, die nur für 3244 Menschen Platz bieten.
Immer wieder habe er an die Regierung in Athen appelliert, endlich zu handeln und Menschen aus den überfüllten Lagern aufs Festland umzusiedeln, sagt der Inselbürgermeister Spyros Galinos. Doch die Regierung bleibe untätig. Das Chaos in den Flüchtlingslagern werde jeden Tag schlimmer, sagt Galinos. Mit dem Generalstreik hofft der Bürgermeister, die Politiker im fernen Athen endlich zum Handeln zu bewegen.

 

In Moria leben 6500 Menschen – 40 Prozent davon sind Kinder

Das Auffanglager Moria, in dem die Ankömmlinge registriert werden, hat eine Kapazität von 2330 Bewohnern; tatsächlich sind hier aber fast 6500 Menschen untergebracht. Rund 40 Prozent von ihnen sind Kinder. Außerdem leben in dem Lager mehrere hundert unbegleitete Minderjährige. Mehr als 1000 weitere Flüchtlinge hausen in Campingzelten in der Umgebung, weil sie keine Unterkunft im Lager finden. Ganze Familien teilen sich Zelte, die für zwei Personen bemessen sind und weder vor Nässe noch Kälte ausreichenden Schutz bieten. Es fehlt an allem: Die Menschen frieren und sind durchnässt, sie haben keine frische Kleidung, es gibt nicht genug Waschmöglichkeiten, die hygienischen Zustände sind desaströs.

Migrationsminister Giannis Mouzalas in Athen sagt, ihm seien die Hände gebunden. Nach den Bestimmungen des Flüchtlingsabkommens, das die EU im Frühjahr 2016 mit der Türkei schloss, müssen die Schutzsuchenden so lange auf den griechischen Inseln bleiben, bis über ihre Asylanträge entschieden ist. Nur wer Asyl bekommt, darf aufs Festland weiterreisen. Wer abgelehnt wird, muss in die Türkei zurück. Aber weil sich die Asylverfahren teils über mehr als ein Jahr hinziehen, funktionieren bisher weder die Weiterreisen noch die Rückführungen. Seit Inkrafttreten des Abkommens wurden erst 1443 Menschen in die Türkei zurückgebracht. Zum Vergleich: Allein auf Lesbos wurden in den ersten beiden November-Wochen 1310 Neuankömmlinge gezählt.

Ähnlich wie in Lesbos sieht es auf den Nachbarinseln Chios und Samos aus. Dort leben aktuell 4436 Flüchtlinge in Unterkünften, die nur für 1594 Personen ausgelegt sind. Kritiker werfen den griechischen Behörden und der EU vor, sie duldeten die schlimmen Zustände in den Lagern, um weitere Flüchtlinge und Migranten davon abzuhalten, über die Ägäis zu kommen.

keine Familie? – kein Essen!

Am 1. November 2017 ist eine Gruppe von 14 Geflüchteten auf dem Syntagma Square in Athen, Griechenland, in den Hungerstreik getreten. Seit über vier Monaten protestieren Geflüchtete in Griechenland gegen die Verzögerungen der Familienzusammenführung. Aktuell sitzen mehr als 4500 Menschen in Griechenland fest, getrennt von ihren Angehörigen. Am Mittwoch, den 08. November gab es eine Kundgebung von Familienangehörigen und Unterstützenden vor dem Bundesinnenministerium in Berlin.

ProAsyl hat zu der Taktik der Bundesregierung die Familienzusammenführung zu verzögern und den Hungerstreik folgende Presseerklärung rausgegeben:

Athen und Berlin: Flüchtlinge protestieren gegen Verschleppung der Familienzusammenführung
PRO ASYL: Das rechtswidrige und unbarmherzige Handeln des BMI muss aufhören.

Tausende Schutzsuchende sitzen in Griechenland fest, obwohl sie einen Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung haben. In Athen sind nun am vergangenen Mittwoch 14 Flüchtlinge in Hungerstreik getreten. Sie fordern eine zügige Wiedervereinigung mit ihren Familien in Deutschland. Ihre Angehörigen hier schließen sich dem Protest an – mit einer Demo heute am 8. November in Berlin. Parallel soll in Athen eine Demonstration bis vor die deutsche Botschaft ziehen.

PRO ASYL fordert umgehend, Familienangehörigen die Einreise aus Griechenland zu erlauben – das ist geltendes EU- Recht. »Das rechtswidrige und unbarmherzige Handeln des Bundesinnenministeriums muss aufhören!« so Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL. Die sondierenden Parteien müssen sich mit den skandalösen Menschenrechtsbrüchen an Europas Grenzen befassen und für eine Beendigung eintreten.

Obwohl sie Familienmitglieder in Deutschland haben und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) der Familienzusammenführung zugestimmt hat, sitzen über 4.500 Schutzsuchende in Griechenland fest – darunter knapp 3.000 Kinder und Jugendliche.

Die betroffenen Familien protestieren seit Monaten gegen die Verschleppung der Überstellungen nach Deutschland. Familienzusammenführungen im Rahmen der Dublin III-Verordnung sind kein Gnadenakt, sondern die Betroffenen haben einen Rechtsanspruch. Ihnen steht nach der Asylzuständigkeitsregelung die Überstellung zu ihren Angehörigen innerhalb von sechs Monaten zu.

Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage der Fraktion der LINKEN geht hervor, dass das BAMF vom 1. Januar bis 20. September 2017 insgesamt in 4.948 Fällen Zustimmungen zur Überstellung nach Deutschland erteilt hat. Aber lediglich 322 Schutzsuchende wurden im gleichen Zeitraum tatsächlich überstellt.

Im Mai 2017 war bekannt geworden, dass aufgrund einer Verabredung zwischen dem Bundesinnenministerium und dem griechischen Migrationsministerium die Überstellungszahlen nach Deutschland drastisch gedrosselt wurden. Die Folge: Über 4.500 Schutzsuchenden – der Großteil stammt aus Syrien, Afghanistan und dem Irak – wird das Recht auf Familienleben aufgrund eines illegalen Deals verweigert.

Die Hungerstreikenden auf dem Athener Syntagma-Platz fordern, den sofortigen Transfer aller Familienmitglieder, bei denen die Frist von sechs Monaten bereits überschritten ist. Zudem sollen die Reisekosten im Einklang mit den europäischen Vorschriften übernommen werden. Die Flüchtlinge kritisieren auch die fehlende Transparenz des »Auswahlverfahrens«: Bislang findet die sogenannte Priorisierung von Härtefällen für die Transfers nach Deutschland in einer völligen Grauzone statt.

Was es für Schutzsuchende bedeutet, zum Teil lange Zeit in einer Warteposition und von ihren Angehörigen getrennt zu leben, haben einige der Protestierenden einer Mitarbeiterin unserer griechischen Partnerorganisation RSA geschildert, mehr dazu finden Sie hier.

Das RSA-Team in Athen, Lesvos und Chios setzt das PRO ASYL-Flüchtlingsprojekt in Griechenland um, dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, leistet Rechtshilfe und soziale Unterstützung für Asylsuchende und Flüchtlinge.

 

Weitere Informationen:

http://hungerstrike.commonstruggle.eu/

https://web.facebook.com/hungerstrike4familyreunification/

Petition: https://www.proasyl.de/thema/familiennachzug/

Hamburg hat Platz

am 8. November wurde die Petition ‚Hamburg hat Platz‘ im Hamburger Rathaus an Pressesprecher von Senat und Bürgerschaft übergeben. Auch Christiane Schneider von der Linken-Bürgerschaftsfraktion, die Bürgerschaftsabgeordnete Hendrikje Blandow-Schlegel (SPD) und Carola Ensslen (Die Linke) waren dabei.

Einen kurzen Beitrag finden Sie im NDR Hamburg-Journal.

Vor der Übergabe fand eine kleine Kundgebung statt, an der etwa 100 Aktive und Passant*innen teilnahmen. Dabei waren die Aktionskünstler*innen vom „Schwabinggrad-Ballett & ARRiVATi“ mit einer Performance und der ehrenamtliche Vorsitzende von ver.di Hamburg, Olaf Harms mit einem Redebeitrag.

Auch nach der Übergabe bleibt es dabei: Wir werden weiter gegen die Politik der Abschottung und für die Aufnahme Schutzsuchender in Hamburg eintreten.

Aktionskreis Hamburg hat Platz (AHHP)

Afghanistan: Anschläge und Abschiebung

Leben in ständiger Angst vor der Abschiebung

Gemeinsame Stellungnahme zur Situation von jungen Geflüchteten aus Afghanistan in der Kinder- und Jugendhilfe

Berlin, 18. Oktober 2017

Sie leben in ständiger Angst vor der Abschiebung:
junge Geflüchtete aus Afghanistan, die in Pflege- und Gastfamilien oder in Einrichtungen der Jugendhilfe leben. Ihre Bleibeperspektive ist unsicher und sie befürchten, abgeschoben zu werden. Der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF), die Diakonie Deutschland, die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) und das Kompetenzzentrum Pflegekinder haben eine gemeinsame Stellungnahme zu der Situation von jungen Geflüchteten in der Kinder- und Jugendhilfe verfasst. Darin beschreibt eine Pflegemutter eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings, dass sie 16 Monate Schwerstarbeit geleistet habe, um den Jungen einigermaßen zu stabilisieren. Mit der  Ablehnung des Asylantrages in allen Punkten sei diese Stabilität innerhalb von wenigen Sekunden pulverisiert.

Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, erklärt:
„Afghanistan ist kein sicheres Land und wird es absehbar nicht sein. Die Situation verschlechtert sich weiter. Junge Flüchtlinge brauchen jetzt eine Zukunftsperspektive. Sie müssen  alle ihre Kraft darin investieren Schule und Ausbildung zu bewältigen und sich zu integrieren.  Ein Leben in Angst und mit Unsicherheit blockiert ihre Entwicklung. Die Mitarbeitenden in unseren Einrichtungen der Jugendhilfe arbeiten intensiv mit den jungen Menschen, um ihnen das Ankommen und Leben in Deutschland zu erleichtern. Wir brauchen Verlässlichkeit in der pädagogischen Arbeit und für die jungen Menschen. Viele dieser junge Afghanen werden hier in Deutschland bleiben.“

Die nächsten Abschiebeflüge nach Afghanistan sind bereits geplant.
Internationale Organisationen widersprechen der Einschätzung des Bundesinnenministeriums, dass es sichere Gebiete in Afghanistan gäbe. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hat erst Anfang dieser Woche einem afghanischen Flüchtling Recht gegeben, dessen Asylantrag zunächst vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Verwaltungsgericht Karlsruhe abgelehnt worden war. Die Sichtweise des Verwaltungsgerichts, die Familie können aus der Provinz Laghman in das vermeintlich sichere Kabul umziehen, bestätigte der Verwaltungsgerichtshof nicht. „Wir fordern die zukünftige Bundesregierung auf, sich für eine Zukunft für die jungen Menschen einzusetzen und ihnen eine sichere Bleibeperspektive zu schaffen“, sagt Loheide.

Die Stellungnahme finden Sie unter https://www.diakonie.de/ stellungnahmen/keine- abschiebungen-nach- afghanistan/ oder  hier.

behindert sein – oder werden?!

Die Versorgung von Geflüchteten und Migrant*innen mit einer Behinderung ist nach wie vor ein vernachlässigtes Arbeitsfeld. Aus den Praxisfeldern der Migrant*innen- und Behindertenarbeit kommen immer wieder Hinweise, dass Menschen mit Behinderung mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit sozialrechtlichen Ausschlüssen unterliegen. Im Jahr 2016 hat Passage Hamburg eine Rechtsexpertise zum Themenfeld erstellen lassen (Weiser 2016), die eine Bestandsaufnahme enthält, in der systematisch die sozialrechtlichen Ausschlüsse im Zusammenspiel von Aufenthaltsrecht und Behinderung auf den Ebenen des Bundes, der Länder und der Kommunen identifiziert werden. Zudem werden unterschiedliche Ansprüche auf Sozial- und Versicherungsleistungen für verschiedene Migrant*innengruppen untersucht und zusammengestellt.

Um zu einer Wissenserweiterung auch für die praktische Beratung beizutragen, wurde – abgleitet aus der Expertise – ein Beratungsleitfaden erstellt. Er steht hier als Download zur Verfügung oder ist auf der Internetseite zu finden.