Offener Brief

an den Ersten Hamburger Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher

Sehr geehrter Erster Bürgermeister Dr. Tschentscher,

wir, die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, haben Ihren Brief an den Berliner Regierenden Bürgermeister Wegner gelesen.

Über Inhalt und Tonfall sind wir bestürzt. Zahlreiche konsternierte Reaktionen aus dem gesamten Bundesgebiet erreichen uns seitdem.

Sie beschreiben die christliche und menschenrechtswahrende Tradition des Kirchenasyls als „systematisch missbräuchlich“, als „Angriff auf den Rechtsstaat“ und als „nicht hinnehmbar“. Besonders haben Sie dabei die Kirchenasyle im Blick, die für Menschen gewährt werden, die von einer Rücküberstellung nach der Dublin III Verordnung bedroht sind.

Wir laden Sie ein, inhaltlich mit uns ins Gespräch zu kommen: Über die zahlreichen und weithin bekannten Missstände und sehr unterschiedlichen Schutzpraktiken der Länder Europas. Schutzsuchende werden an Europas Grenzen brutal zurückgedrängt. Frauen werden nicht vor sexueller Gewalt geschützt. In manchen europäischen Ländern unterschreiten Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten jeden Mindeststandard. Familien werden voneinander getrennt, Geflüchteten wird staatlicherseits schwere Gewalt angetan oder es drohen Kettenabschiebungen in lebensgefährliche Herkunftsländer.

In besonderen Härtefällen versuchen wir, einzelne Familien und Personen vor solchen gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu schützen.

Die Tatsache, dass einzelfallbezogene Härten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kaum mehr gewürdigt werden, stellt die Kirchen vor ein ernstes Problem. Wenn staatliche Stellen ihrer Schutzverpflichtung nicht nachkommen, wenden sich verzweifelte Menschen an uns. Gespräche mit dem BAMF im Rahmen der 2015 gerade für die so genannten „Dublin-Fälle“ getroffenen Verabredungen sind leider seit mehreren Jahren nicht mehr vom anfänglichen Geist des „Suchens nach guten humanitären Lösungen“ geprägt.

Viele Ehrenamtliche und Engagierte setzen sich in der Begleitung von Kirchenasylen für einen solidarischen, gerechte(re)n Umgang mit Schutzsuchenden ein. Oft erleben sie hier auf eine einzigartige Weise die Bedeutung von Werten wie Gemeinschaft, Fürsorge und Nächstenliebe. Ihre Vorwürfe, sehr geehrter Herr Dr. Tschentscher, treffen genau diese Gruppe von gesellschaftlich hoch engagierten Menschen tief. Große Teile der so genannten Willkommenskultur wurden von der Zivilgesellschaft, nicht unwesentlich von Kirchen, verwirklicht. Die jetzige Diskreditierung dieses Einsatzes erzeugt großes Unverständnis – gerade auch in dem Wissen darum, dass Hamburg als eine weltoffene und tolerante Stadt und ihr Erster Bürgermeister als ebensolcher Politiker bisher bekannt waren.

Auch über diesen irritierenden Tonfall gegenüber kirchlicher Arbeit zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Auswirkungen, die wir befürchten, möchten wir gern mit Ihnen ins Gespräch kommen.

Wir sind fest überzeugt: Kirchenasyl ist ein wertvoller Beitrag zur Gerechtigkeit und mahnt ein genaues Schauen auf verbesserungswürdige politische Praxis an. Als Christ:innen und als Staatsbürger:innen bitten wir Sie und die politisch Verantwortlichen, dieses Engagement zu akzeptieren, den Begründungen Gehör zu schenken und Kirchenasyl keinesfalls in die Nähe von wirklichen Verfassungsfeinden und den Rechtsstaat gefährdenden Akteuren zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen aus Berlin

für die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche
Pastorin Dietlind Jochims, Vorstandsvorsitzende

Pressekontakt: 030 25 89 88 91, info@kirchenasyl.de

www.kirchenasyl.de

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