Sorge um Flüchtlingsschutz

…bei EU-Asylrechtsreform

 

Am 14. Dezember hat bekanntermaßen eine sehr kontroverse Debatte im EU-Rat in Brüssel zum Thema Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme stattgefunden. Wie schon berichtet, wird eine Verpflichtung nach Quote von den Visegrad-Staaten abgelehnt. Wenn Flüchtlingsaufnahme in diesen Mitgliedstaaten nicht von gemeinsamen menschenrechtsbasierten Werten getragen, sondern nur eine Pflichtübung wird, darf zurecht bezweifelt werden, ob im Ergebnis effektiv mehr Raum für internationalen Schutz in der EU entsteht, den so dringend benötigt wird. Der Zusammenhalt der EU wird durch diese Diskussion gefährdet. Das ist bedauerlich, denn die Anzahl von Flüchtlingen, um die es für die EU tatsächlich geht, fällt im weltweiten Vergleich gerade zu beschämend klein aus. Dennoch ist die Situation im Rat verfahren, bis Juni 2018 soll nun weiter um das zukünftige Dublin-System gerungen werden. Leider steht zu befürchten, dass bei der Reform vor allem ein Konsens für Externalisierung und Restriktionen, insbesondere Sanktionen bei Sekundärmigration gefunden wird.

 

Caritas und Diakonie wenden sich gegen Absenken von Schutzkriterien

Berlin, 14. Dezember 2017. „Europa muss ein Kontinent der Humanität und Solidarität bleiben und die Tür offen halten für Schutzsuchende Männer, Frauen und Kinder – dabei muss jedes Land Verantwortung übernehmen“, fordern die Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes und der Diakonie Deutschland, Peter Neher und Ulrich Lilie, anlässlich des heutigen Treffens des Europäischen Rates.

Caritas und Diakonie befürchten nicht nur, dass die derzeit durch die EU- Kommission beabsichtigte Umgestaltung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) die Lebensbedingungen für Schutzsuchende in den EU-Mitgliedstaaten verschlechtert, sondern vor allem auch, dass der Zugang zu einem fairen Asylverfahren erheblich behindert, oder sogar faktisch verhindert wird.

„Die Politik der EU darf nicht darauf zielen, die Fluchtwege von Menschen, die in ihren Heimatländern verfolgt werden, in unsicheren und unfreien Transitstaaten enden zu lassen.  Sie  müssen einen Antrag auf internationalen Schutz in der Europäischen Union stellen können und es muss gewährleistet sein, dass sie eine bedarfsgerechte und menschenwürdige Versorgung erhalten, egal wo in der EU sie sich aufhalten“, fordert Caritas-Präsident Neher.

Derzeit wird besonders unter den EU-Mitgliedstaten im Europäischen Rat um die Zukunft des Dublin-Systems, das die Verteilung der Asylsuchenden innerhalb der EU regelt, gerungen. Dazu appelliert Diakonie-Präsident Ulrich Lilie an die Mitgliedsstaaten, insbesondere die Bundesregierung, sich an Stelle der vorgeschlagenen Sanktionen und Zwangsmaßnahmen für Staaten und Schutzsuchende für finanzielle Unterstützung und positive Anreize einzusetzen. „Ein gerechtes und funktionierendes Verteilsystem für Schutzsuchende wird nur dann Erfolg haben, wenn es von möglichst allen Seiten akzeptiert wird. Individuelle Kriterien und Interessen der Schutzsuchenden sowie die Aufnahmebereitschaft von Regionen und Kommunen müssen stärkere Berücksichtigung finden. Dazu gehört auch, dass Flüchtlinge nach einer Anerkennung am Europäischen Binnenmarkt teilhaben können“, erklärt Lilie.

Beide Wohlfahrtsverbände betonen, dass es fatal sei, bei Flüchtlingen, die nicht im Erstaufnahmeland geblieben sind, die Unterstützung auf Kernleistungen zu beschränken. Dies betreffe auch die gesundheitliche Versorgung. Eine medizinische Notfallversorgung, die unter dem Niveau des physischen Existenzminimums liegt, sei nicht ausreichend.

Der Europäische Rat muss mit einer Teilung der Verantwortung und der mit den Asylverfahren verbundenen Lasten unter den EU-Mitgliedsstaaten die Voraussetzung dafür schaffen, dass Europa als Raum der Freizügigkeit und der internationalen Verantwortung glaubwürdig und zukunftsfähig bleibt. Europa muss für gemeinsame Werte, humanitäre Rechtsprinzipien und die Wahrung von Menschenrechten stehen.

Die Europäische Union darf nicht hinter die über viele Jahre hinweg entwickelten Standards zurückfallen, auch nicht bei den Zugängen zu Asylverfahren.

 

Auf Basis einer empirischen Studie mit Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat beleuchtet die neue Kurzinformation des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) -Forschungsbereichs die zwei Kardinalprobleme des GEAS: die mangelnde Fairness gegenüber Asylbewerberinnen und Asylbewerbern durch die ungleichen Schutzquoten in Europa und die unzureichende Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten bei der Flüchtlingsaufnahme.

So lagen 2016 die Chancen irakischer Asylsuchender auf Schutzgewährung in Ungarn und im Vereinigten Königreich bei jeweils unter 13 Prozent; in Spanien und in der Slowakei hingegen bei 100 Prozent.
Während Deutschland und Schweden in den letzten Jahren deutlich mehr Flüchtlinge aufgenommen haben, als es nach einem fairen Verteilschlüssel angemessen gewesen wäre, bleiben die meisten anderen Mitgliedstaaten weit hinter ihrem Soll zurück – darunter z. B. auch Frankreich und das Vereinigte Königreich. Beide waren bis 2012 wichtige Stützen des GEAS, schultern seitdem aber kontinuierlich einen immer geringeren Anteil der Flüchtlingsaufnahme.
Mehr Verantwortungsteilung und die Angleichung der Entscheidungspraxis sind Schlüsselelemente für das Funktionieren des GEAS – nicht zuletzt, weil sie eng miteinander verzahnt sind.

Die in Kooperation mit der schwedischen Migration Studies Delegation (Delmi) entstandene Kurzinformation beschreibt Szenarien, formuliert Empfehlungen und bewertet die Perspektiven der Weiterentwicklung der internen EU-Flüchtlingspolitik zu einem echten gemeinsamen Asylsystem. Sie kann hier abgerufen werden: www.svr-migration.de/publikationen/reform_geas/