Grundsatzurteil zur Abschiebungspraxis

Ein von Fluchtpunkt erstrittenes Grundsatzurteil des Verwaltungsgerichts Hamburg (Urteil vom 15.2.2019, 9 K 1669/18) wird dazu führen, dass sich die Hamburger Abschiebungspraxis in einem wesentlichen Punkt ändern muss.

Bisher war es bei unangekündigten Abschiebungen, die zumeist in den frühen Morgenstunden stattfinden, üblich, dass die Vollzugsbeamtinnen und –beamten die Wohnräume der Betroffenen in den Flüchtlingsunterkünften betraten und ggf. durchsuchten, ohne dafür zuvor eine richterliche Erlaubnis eingeholt zu haben.

Fluchtpunkt hatte gegen diese Praxis geklagt, da in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG nur aufgrund eines richterlichen Beschlusses eingegriffen werden darf, sofern nicht Gefahr im Verzuge ist. Letzteres dürfte bei geplanten Abschiebungen i.d.R. nicht der Fall sein.

Das Verwaltungsgericht hat unsere Rechtsauffassung nun in einem Grundsatzurteil vollumfänglich bestätigt:

Auch die von Geflüchteten privat genutzten Räume in einer Flüchtlingsunterkunft genießen den Schutz des Art. 13 GG. Für ihr Öffnen und Betreten im Rahmen einer Abschiebung ist deshalb ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss erforderlich. Diesen wird die Ausländerbehörde Hamburg in Zukunft regelmäßig einzuholen haben.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das Verwaltungsgericht die Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht zugelassen.

Das Urteil wurde vom Verwaltungsgericht veröffentlicht.

Der Text stammt von Fluchtpunkt.

Fluchtpunkt

Kirchliche Hilfsstelle für Flüchtlinge
Eifflerstraße 3 • D-22769 Hamburg
Tel +49 (0)40 – 432 500-80 • Fax +49 (0)40 – 432 500-75
fluchtpunkt(at)diakonie-hhsh.de

Neue Regeln: Mitwirken am Widerruf des eigenen Flüchtlingsstatus?

Viele anerkannte Flüchtlinge haben in den letzten Monaten Post erhalten: Sie werden vom BAMF zu Befragungen oder zur Überprüfung ihrer Identität eingeladen. Diese Gespräche sollen vor allem der Überprüfung dienen, ob der Schutzstatus der jeweiligen Person zu widerrufen ist. Bislang waren diese Einladungen freiwillig, eine Teilnahme war nicht verpflichtend. Das ändert sich jetzt: Am 12. Dezember ist eine Änderung des Asylgesetzes in Kraft getreten, nach der im Widerrufsverfahren nun ähnlich weitreichende Pflichten zur Mitwirkung gelten wie im eigentlichen Asylverfahren. Betroffene können z. B. verpflichtet werden, an einer (erneuten) Anhörung teilzunehmen, Pässe und sonstige Unterlagen vorzulegen bzw. erst zu beschaffen und an einer Überprüfung ihrer Identität, u. a. durch Fingerabdrucknahme, mitzuwirken.

Bisher galt: Wenn das BAMF Grund zu der Annahme hatte, dass ein Flüchtling keinen Schutz mehr benötigt, konnte ihm dies schriftlich mitgeteilt werden. Betroffene hatten dann Gelegenheit zur Stellungnahme, bevor u. U. ein Widerruf erging. Die Gründe für den Widerruf musste das BAMF aber selbst feststellen. Mit den neuen Regelungen wird dieses Verfahren auf den Kopf gestellt: Es wird de facto ein Vorverfahren eingeführt, in dem nach Widerrufsgründen erst gesucht wird. Und liefern soll diese Gründe der geflüchtete Mensch selbst – indem er zur Teilnahme an einer weiteren Anhörung verpflichtet wird, an deren Ende womöglich aus Abweichungen zum früheren Vortrag ein Widerrufsgrund konstruiert wird.

Dies bedeutet auch, dass Menschen, die nach der Flucht aus einem Kriegsgebiet oftmals gerade erst begonnen haben, sich zu stabilisieren, erneut verunsichert und verängstigt werden. Viele der Geflüchteten sind als besonders schutzbedürftig einzustufen – ein erheblicher Teil von ihnen hat mit multiplen psychischen Folgen aufgrund der Ereignisse im Herkunftsland und den Belastungen im Rahmen einer erzwungenen Migration zu kämpfen. Der extreme psychische Stress, dem diese Menschen ausgesetzt waren, führt sehr oft zu starken Unruhezustände und hoher Anspannung, Schlafstörungen, Panikattacken und Angstzuständen. Das ganze seelische System kann nur dann schrittweise zur Ruhe kommen, wenn Sicherheits-, Kontroll- und Selbstwirksamkeitsgefühl wieder Einzug halten.

Die erneute Befragung und erzwungene Konfrontation mit den belastenden Fluchthintergründen wird die Betroffenen in maximalen Stress versetzen. Das gerade erst neu entstehende Vertrauen in staatliche (Schutz-)Strukturen, in Verlässlichkeit von Entscheidungen und in Planbarkeit von eigenen Lebensentwürfen wird damit jäh untergraben: Gefühle von Ausgeliefertsein und Ohnmacht entstehen aufs Neue.

Dies kann bei vielen Menschen, insbesondere denen, die traumatisiert und /oder psychisch erkrankt sind, eine erhebliche psychische Destabilisierung zur Folge haben. Aus der Traumaforschung ist bekannt, dass Informationen unter hohem Stress anders verarbeitet werden. Erinnerungen sind dann oftmals fragmentiert, also räumlich und zeitlich nicht korrekt im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Allein vor diesem Hintergrund ist die Gefahr sehr groß, dass es bei einer erneuten Befragung zu Abweichungen zu früheren Vorträgen kommen wird.
Dies ist in solchen Fällen kein Zeichen fehlender Glaubwürdigkeit. Zu befürchten ist aber, dass es dennoch so interpretiert und als Widerrufsgrund gegen die Betroffenen verwendet wird.

Begründet wurde diese Gesetzesänderung damit, dass 2014/15 eine große Zahl von Geflüchteten im sog. vereinfachten Verfahren ohne Prüfung ihrer Asylgründe als Flüchtling anerkannt worden sei, insbesondere Syrerinnen und Syrer. Diese Behauptung trifft jedoch so nicht zu. Die Anerkennung erfolgte damals bei bestimmten Gruppen ohne mündliche Anhörung, was das BAMF entlasten sollte. Eine schriftliche Anhörung, in deren Rahmen die Betroffenen ihre Fluchtgründe darlegen mussten und z. B. auch befragt wurden, ob sie ZeugInnen von Kriegsverbrechen geworden seien, fand aber auch in diesen Fällen statt. Es ist nie ein Mensch ohne jede Prüfung in Deutschland als Flüchtling anerkannt worden.

Ein Widerruf der Flüchtlingseigenschaft käme deswegen an sich nur in Betracht, wenn das BAMF Hinweise hätte, dass die im schriftlichen Verfahren vorgetragenen Gründe nicht mehr vorliegen. Stattdessen wird die Schutzbedürftigkeit und auch die Glaubwürdigkeit der Betroffenen öffentlich in Zweifel gezogen. Zu befürchten ist, dass es der Behörde vor allem darum geht, Syrerinnen und Syrern nachträglich den Flüchtlingsstatus zu entziehen, der bis Ende 2015 noch häufig zuerkannt wurde, und sie in den subsidiären Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge herunterzustufen – mit unabsehbaren Folgen z. B. für noch nicht abgeschlossene Verfahren des Familiennachzugs.

Die erneute, flächendeckende Überprüfung des gewährten Schutzes, obwohl in Syrien nach wie vor ein Bürgerkrieg tobt und ein diktatorisches Regime herrscht, bringt für die Betroffenen massive Verunsicherung mit sich. So sieht integrationsfeindliche Politik aus, zumal die Regelfrist für die Überprüfung des Schutzes nach Forderungen aus der Union von drei auf fünf Jahre verlängert werden soll. Wir raten allen Betroffenen dennoch zur Ruhe und empfehlen dringend:

1. Lassen Sie ein erhaltenes Schreiben von Ihrer Anwältin / Ihrem Anwalt überprüfen! Nur eine „Einladung“, die korrekt auf die neuen gesetzlichen Mitwirkungspflichten und die Folgen eines Verstoßes hinweist, ist verbindlich.

2. Lassen Sie sich von Ihrer Anwältin / Ihrem Anwalt zum Umgang mit einem solchen Schreiben beraten! Einer gültigen „Einladung“ wird man voraussichtlich Folge leisten müssen. Es kann aber im Einzelfall unterschiedlich sein, wie weit Sie zur Mitwirkung verpflichtet sind. Auch, ob Sie zu vollständigem Vortrag Ihrer Fluchtgründe verpflichtet sind oder sich auf Ihr früheres Asylverfahren berufen können, kann im Einzelfall verschieden sein.

3. Die Beantragung eines Nationalpasses führt zum Erlöschen des Flüchtlingsschutzes. Insbesondere diesen Schritt sollten Sie nur tun, wenn das BAMF Sie explizit dazu auffordert, und nur nach vorheriger anwaltlicher Beratung.

Der Text stammt von Fluchtpunkt/Beratungsstelle der Diakonie

Fluchtpunkt

Kirchliche Hilfsstelle für Flüchtlinge
Eifflerstraße 3 • D-22769 Hamburg
Tel +49 (0)40 – 432 500-80 • Fax +49 (0)40 – 432 500-75
fluchtpunkt(at)diakonie-hhsh.de

Seenotretter in Not

Während europäische Politikerinnen und Politiker Weihnachten und Silvester feierten, warteten die „Sea-Watch 3“ und die „Sea-Eye“ mit insgesamt fast 50 Geflüchteten (darunter acht Minderjährige) vor der Küste Maltas auf Aufnahme in einen Hafen. Ihnen wurde die Einfahrt in einen sicheren Hafen verweigert, was dazu führte, dass eine Grundversorgung und medizinische Hilfe für alle Menschen auf dem Boot bei kalten Temperaturen auf dem Meer verweigert wurde.

Das Herz!

Der Bürgermeister von Neapel appellierte, die Seawatch in den Hafen zu lassen und löste damit eine Welle der Solidarität aus. Daraus ist dieses Video entstanden.

https://www.facebook.com/aricco/videos/10216516674582370/

Die Bundesregierung begann, statt Solidarität und Menschlichkeit zu zeigen, eine zähe Einzelfall-Verhandlung innerhalb der EU-Staaten. Eine Aufnahme der Menschen sollte nur erfolgen, wenn sich eine beachtliche Zahl anderer EU-Staaten ebenfalls beteiligen würden, sagte Innenminister Seehofer. Auf lokaler Ebene hingegen, erklärten sich über 30 Kommunen und Bundesländer bereit den Menschen zu helfen und sie aufzunehmen.

Nachdem sich endlich für die 49 Geflüchteten eine Lösung gefunden hatte, fuhr die „Sea-Watch 3“ wieder aus und war als einziges ziviles Rettungsschiff auf Mission. An einem Wochenende, an dem 100 Menschen auf dem Mittelmeer starben, konnten 47 Menschen von der „Sea-Watch 3“ gerettet werden. Dem Rettungsschiff wurde wieder die Einfuhr in einen sicheren Hafen verboten. Erst nach einer Beschwerde von Überlebenden und Besatzungsmitgliedern des Rettungsschiffs „Sea-Watch 3“ hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Grundrechtsverletzung festgestellt und eine einstweilige Maßnahme verfügt.  Auch wenn diese Entscheidung menschenrechtlich notwendig und überfällig ist, wird sie keine langfristige, solidarische und menschliche Lösung für die Rettungs-Blockade der EU-Staaten herbeiführen.

Kirchenasyl-Geschichtenkalender

©Mauricio Bustamante

Liebe Hamburgasyl-Leser*innen,

die Weihnachtszeit ist vorbei, nicht aber die unklare Situation vieler Menschen, die im Kirchenasyl leben. Daher wollen wir den Kalender noch ein wenig hier stehen lassen, um die Geschichten von Geflüchteten, Unterstützer*innen, aus Gemeinden und von Pastor*innen zu erzählen.

Alle Erzähler*innen leben hier im Norden als unsere Nachbarinnen und Nachbarn.

www.kirchenasyl-adventskalender.de

 

 

Engagiert statt nur besorgt

Postkarten-Aktion wirbt um „Verfassungsschützer“ und „Volle Kanne Selbstvertrauen“

50.000 Postkarten werden ab 22. November als CityCards in über 290 Standorten von Hamburg, Norderstedt, Wedel und Pinneberg verteilt: Sie werben überwiegend in Restaurants um Spenden für die Unterstützung notleidender Menschen. „Engagiert statt nur besorgt“ heißt die Kampagne. Hauptamtliche MitarbeiterInnen diakonischer Einrichtungen haben den Spenden-Aufruf gemeinsam entwickelt. In Hamburg wenden sich „Patchwork – Beratungsstelle für Frauen in Häuslicher Gewalt“, und „fluchtpunkt“, die kirchliche Beratungsstelle für Flüchtlinge, mit dem Aufruf an die Öffentlichkeit.

„Den Schutz der Verfassung überlassen wir nicht dem Verfassungsschutz“. Mit dieser Postkarte ruft „fluchtpunkt“ auf zu finanzieller Unterstützung seiner Rechtsberatung für Flüchtlinge. Fluchtpunkt bietet Flüchtlingen eine kostenlose Rechtshilfe, arbeitet unabhängig von staatlichen Stellen und ist auf Spenden angewiesen. „Wir vertreten die Klientinnen und Klienten vor Behörden und Gerichten. Das ist in dieser Form ziemlich einmalig“, erklärt Leiterin Anne Harms. Die Arbeit erfordert eine hohe Spezialisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und viel Zeit in jedem einzelnen Fall. Die Arbeit ist deshalb vergleichsweise teuer, aber sehr erfolgreich. Leiterin Anne Harms: „Das Grundrecht auf Asyl ist ein Kernbestand unserer Verfassung. Leider wird es durch Schnellverfahren, Verschärfung der Beweislast und Deklarierung sicherer Herkunftsländer mehr und mehr ausgehöhlt. Es wird schwerer, den Verfolgten und Bedrohten zu ihrem Recht zu verhelfen und so die Verfassung zu schützen. Diesen Schutz der Verfassung überlassen wir nicht dem Verfassungsschutz. 50 Euro finanzieren eine Rechtsberatung. Wer spendet, wird auf diese Weise zum  Verfassungsschützer.

„Volle Kanne Selbstvertrauen“ heißt die Postkarte von „Patchwork“. Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle für Frauen in Häuslicher Gewalt haben den Slogan entwickelt. Sie beraten seit 21 Jahren Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. Viele Ehrenamtliche sind von neun bis 19 Uhr telefonisch erreichbar. Die Grundausstattung finanziert der Träger, das Diakonische Werk Hamburg-West/Südholstein. Für einen einladenden Cafébetrieb des Beratungscafés in Hamburg-Ottensen mit Personal und Getränken sucht Patchwork Spender. In einer angenehmen Atmosphäre kann der geschützte Gesprächsraum Vertrauen schaffen. „Frauen in häuslicher Gewalt brauchen viel Unterstützung, um in ihrem Selbstwert gestärkt zu werden“, sagt Mitarbeiterin Annette von Schröder. „Der Schritt in das Patchwork-Café ist auch ein Schritt aus der Gewaltspirale. 50 Euro finanzieren eine Stunde Cafébetrieb. Schenken Sie volle Kanne Selbstvertrauen.

Das Diakonische Werk Hamburg-West/Südholstein unterstützt die Postkarten-Werbung. Andrea Makies, kaufmännische Geschäftsführerin: „Wir würden uns freuen, wenn viele Menschen die Postkarten entdecken, mitnehmen und die Kontonummer für eine Spende an die Einrichtung nutzen.“  Eine Internet-Seite www.engagiert-statt-nur-besorgt.de bietet online Spendenformulare und Informationen über den Spendenzweck.

 

Kontakt für die Presse:

 

fluchtpunkt – Kirchliche Beratungsstelle für Flüchtlinge in Hamburg“:
Anne Harms, Leiterin – info@fluchtpunkt-hamburg.de – Tel. (040) 43 25 00 80
Eifflerstraße 3 – 22769 Hamburg

 

 

 

Patchwork – Beratungsstelle von Frauen für Frauen gegen Gewalt:
Annette von Schroeder, info@patchwork-hamburg.org  –  Tel. (040) 38 61 08 43
Bahrenfelder Straße 255 – 22765 Hamburg

 

 

 

Diakonisches Werk Hamburg-West/Südholstein (Träger der Einrichtungen):
Andrea Makies, Kaufmännische Geschäftsführerin – Tel. (040) 58 95 01 20

Fotos: Postkarten für „fluchtpunkt“ und „Patchwork“.  Fotos: Archiv Diakonisches Werk Hamburg-West/Südholstein

Menschenrechte statt Grenzen schützen!

Vom 9. bis 11. November 2018 fand in Hamburg die Jahrestagung der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche statt. Unter dem Titel „Kirchenasyl zwischen Institution und Bewegung“ kamen über 100 TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland  zusammen, um die Auswirkungen der aktuellen Abschottungspolitik und der neuen Sanktionen gegen das Kirchenasyl zu diskutieren.

„Wir brauchen als Kirchenasylbewegung die Vernetzung und den Austausch untereinander. Einerseits als Bestärkung und Ermutigung nach innen, andererseits, um weiterhin entschlossen für das Kirchenasyl einzutreten.“, so Dietlind Jochims, Vorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Asyl in der Kirche. „Anstatt anzuerkennen, dass das Dublin-System gescheitert ist, wird den Kirchengemeinden vorgeworfen, sich nicht an die Regeln zu halten. Es geht uns um eine Würdigung jedes Einzelfalls. Das geht in der aktuellen Diskussion um oft unter.“ In Workshops, Vorträgen und Podiumsdiskussionen widmeten sich die Teilnehmenden der Tagung den Entwicklungen im deutschen und europäischen Asylrecht, dem gesellschaftlichen Diskurs um Migration und Flüchtlinge, sowie Fragen rund um das Kirchenasyl.

Ausgehend von den Diskussionen während der Tagung veröffentlichte die BAG Asyl in der Kirche eine Abschlusserklärung  mit deutlicher Kritik an der derzeitigen europäischen Asylpolitik. Dietlind Jochims dazu: „Bei jedem Kirchenasyl geht es um eine individuelle Härte. Mit jedem Kirchenasyl wird aber auch das Bild eines europäisches Asylsystems deutlicher, das vollkommen unterschiedliche Standards und Anerkennungsquoten in den einzelnen Mitgliedsstaaten hat. Von Humanität und Achtung der Menschenwürde ist in dieser Asyllotterie wenig zu spüren.“

Die Abschlusserklärung ist hier als PDF Datei zu finden.

Dietlind Jochims
Vorsitzende der Ökumenischen BAG Asyl in der Kirche e.V.
dietlind.jochims@oemf.nordkirche.de

„Solidarity First“

Die Diakonie Deutschland hat gemeinsam mit der Kirchlichen Kommission für Migranten in Europa (CCME) von 15.-20.10.2018 die 15. Europäische Asylrechtskonferenz ausgerichtet. Etwa 150 Teilnehmende aus 16 europäischen Ländern aus dem kirchlichen und nicht-kirchlichen Kontext haben sich auf Chios und in Athen unter dem Konferenztitel „Solidarity First – Reclaiming the values and principles of Europe” versammelt.

Auf Grundlage der Diskussionen und Erkenntnisse aus den Exkursionen u.a. in dem Hotspot Vial und anderen Flüchtlingslagern in Griechenland forderten die Konferenzteilnehmer in ihrer Abschlusserklärung am 20.10.2018:

  • Die Beendigung des Hotspot-Ansatzes, sowohl in seiner bestehenden Form als auch als Vorlage für ein zukünftiges EU-Asyl-Regime.
  • Den sofortigen Transfer der Asylsuchenden von den Inseln auf das griechische Festland sowie die sofortige Verbesserung der Aufnahmebedingungen auf den Inseln. Die Verantwortung hierfür sehen wir gleichermaßen bei den europäischen und den griechischen Behörden.
  • Die Beendigung der Externalisierungsstrategie der EU zugunsten einer gemeinsamen Asylpolitik (GEAS), die in Bezug auf Aufnahme und Ablauf, Zugang zum Verfahren und Teilung der Verantwortung zwischen allen Partnern hohe Standards erfüllt.
  • Die Einrichtung sicherer Zugangswege nach Europa für Schutz und aus anderen Gründen, beispielsweise der Familienzusammenführung und Arbeitsmigration

Katharina Stamm, juristische Referentin für Europäische Migrationspolitik der Diakonie Deutschland: ”Was wir gesehen haben stellt ein weiteres Mal das Dublin-System in Frage, das Griechenland und andere Länder an den EU-Außengrenzen mit einer überproportionalen Verantwortung allein lässt. Wir sind der festen Überzeugung, dass Europa sein Bekenntnis zu Flüchtlingsschutz erneuern und einen wirklich funktionierenden Solidaritätsmechanismus einführen muss. Sofortige Maßnahmen sind erforderlich, um die untragbaren Zustände für Flüchtlinge in den hotspots zu verbessern.“

Hier die O-Töne der drei OrganisatorInnen:

Participants were shocked by the living conditions housed in the Vial hotspot on Chios, and later condemned the “undignified and humiliating” situation in the conference resolution. They also expressed concern about the impact on local populations of policies keeping asylum seekers at the border of the European Union. “We can only conclude that Europe cannot continue with its asylum policy as-is,” remarked Dr Torsten Moritz, general secretary of CCME. “As churches we want to see this reality of suffering and death replaced by one of solidarity, fellowship, and hope.”

While those gathered in Greece represented a diversity of interests and national contexts, they agreed on a common call for solidarity between member states of the EU and with refugees as guiding principles for a true Common European Asylum System. “What we have witnessed here calls into question the current regime of the Dublin Regulation, which leaves Greece among other countries at the EU external borders with disproportionate responsibility,” remarked Katharina Stamm legal adviser on European Migration Policy of Diakonie Deutschland. “We strongly believe that Europe must renew its commitment to refugee protection, find a truly working solidarity mechanism and do to more to help those arriving in Greece and those welcoming them.”

“The evaluation of the field visits and the information received during the days of the conference highlighted the fact that the hot spot approach can’t be a “best practice for future” European policies on the management of mixed migration arrivals,” said the CCME Vice Moderator Efthalia Pappa from the church of Greece. “Durable solutions regarding reception, asylum procedures and return policies need to be in conformity with the European acquis and Member States need to implement effectively the core fundamental principles of solidarity and burden sharing,” she added.

Hier können Sie die Abschlusserklärung der Konferenz auf deutsch und englisch, die Presseerklärung von CCME vom 22.10.2018 sowie die Agenda der 15. Europäischen Asylrechtskonferenz herunterladen. Weitere Informationen finden Sie hier: https://info.brot-fuer-die- welt.de/blog/ein-weiterso- darf-es-nicht-geben

Wir sind mehr!

Die letzten Wochen zeigte sich ein buntes Bild auf den Straßen Hamburgs und vieler andere Städte in Deutschland. Tausende Menschen, die den Aufrufen folgten und sich gemeinsam bewegten, um für sichere Fluchtrouten und gegen rechte Tendenzen zu demonstrieren. Sie waren laut, bunt, stark und mehr!

Es bewegt sich was, wenn alle zusammen für Geflüchtete und ihr Recht auf Leben eintreten. Wenn die Politik auf ihre tödliche Ignoranz aufmerksam gemacht wird und wenn wir nicht müde werden, lauter, bunter, stärker und mehr zu sein, als die, die für Abschottung und Tod sind.

Seebrücke

Am 02. September 2018 kamen über 16.000 Menschen zur Demonstration des Bündis Seebrücke zusammen. Die Initiative entstand spontan, als das Seenotrettungsschiff „Lifeline“ im Juni mit 234 Menschen an Bord am Einlaufen in einen Hafen gehindert worden war. Während die Zahl der Menschen, die im Mittelmeer ihr Leben verloren haben, bereits im Juni bei über 1.200 lag (im Oktober sind es bereits über 1.800 Menschen), wurden immer mehr Schiffe der privaten Seenotretter*innen in europäischen Häfen festgesetzt und Kapitäne vor Gericht angeklagt.  Unter der Ansage „Wenn die europäischen Regierungen in der Flüchtlingsfrage versagten, liege es an den Städten zu handeln“ ruft das Bündnis Seebrücke in deutschen Städten seit Juli zu Demonstrationen auf.

Auch die Wohlfahrtsverbände der katholischen und evangelischen Kirche, Caritas und Diakonie, beteiligen sich an der Demonstration „Seebrücke“ in Hamburg. Es müsse ein Zeichen gesetzt werden, dass eine Politik der Angst nicht im Sinne von Christen ist, sagte Caritasdirektor Michael Edele. Kirsten Fehrs, Bischöfin Nordkirche sagte auf der Demo: „Denn wir dürfen nicht unwidersprochen hinnehmen, wenn Menschenwürde verletzt wird, wie jetzt zum Beispiel in Chemnitz. Wir dürfen nicht dulden, dass man Flüchtlinge auf See ertrinken lässt und  auch nicht, dass sie angepöbelt und zusammengeschlagen werden! […] Auf dem Mittelmeer spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab, und also brauchen wir Rettungsmissionen – je mehr, desto besser. Schiffe brauchen wir, die dafür geeignet sind, mit ausgebildeten Helfern und niedrigen Bordwänden. Und nötig sind Rechtssicherheit und eine politische Lösung!“

We’ll come united

„Gegen Abschiebung, Ausgrenzung und rechte Hetze – für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle!“ Unter diesem Slogan rief das Bündnis We’ll come united zur antirassistischen Parade in Hamburg am 29. September 2018 auf. Der Aufruf dieser offenen Initiative wurde vielfach gehört: Fast 30.000 Menschen kamen aus 35 Städten mit Bussen in die Hansestadt um für Schutz und gegen die Abschiebung von Geflüchteten zu demonstrieren. Über 40 individuell gestaltete Trucks mit unterschiedlichem Programm waren unterwegs. Die Liste der Initiativen liest sich bunt: Queers United – Love is not a crime, Stand up against deportation and make noise!, Erdogan not welcome – kein Deal mit der Türkei, Lampedusa in Hamburg – 5 years of resistance!, Romani-Truck from Latveria, Heimat deine Schnauze!, Stoppt das Massensterben im Mittelmeer – Seenotrettung ist kein Verbrechen, Bleibistan – Keine Abschiebungen nach Afghanistan! und Omas gegen Rechts. Das Signal ist deutlich: Wir sind mehr!

#unteilbar

Über 242.000 Menschen gingen zwei Wochen später in Berlin bei der #unteilbar Demonstration auf die Straßen. Am 13. Oktober rief das Bündnis Unteilbar unter dem Motto „Solidarität statt Ausgrenzung – für eine offene und freie Gesellschaft“ auf, und es kamen mehr Menschen als erwartet. Es kamen Menschen und Initiativen aus ganz Deutschland, die mit ihren unterschiedlichen Blickwinkeln für ein gemeinsames Ziel auf die Straße gingen. „Die Initiative zu der Demonstration entstand, weil wir dem zunehmenden Rechtsruck der vergangenen Wochen und Monate etwas entgegenstellen wollen. Wir wollen uns nicht spalten lassen, Menschenrechte sind unteilbar“, sagt Nora Berneis, die Sprecherin der Initiative. In dem Aufruf zur Demonstration heißt es: „Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden. Wir halten dagegen, wenn Grund- und Freiheitsrechte weiter eingeschränkt werden sollen.“ Dem schlossen sich über 450 Organisationen, Initiativen, Künstler*innen und Prominente an. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas sah in dem Aufruf  „ein großartiges Signal“, denn Deutschland lasse sich nicht spalten, „von rechten Populisten schon gar nicht“.

Wie gehts weiter?

Am 24. Oktober gibt es um 18:30 Uhr ein von dem Bündnis Seebrücke organisiertes „Lichtermeer für sichere Häfen“  in Hamburg: 

Vom 24. – 26.10. findet in Hamburg die Konferenz der Ministerpräsidenten statt. Aus diesem Anlass erinnern wir an den Beschluss Hamburgs, sicherer Hafen für Gerettete und Geflüchtete sein zu wollen.
DEN WORTEN MÜSSEN NUN TATEN FOLGEN, damit das Sterben im Mittelmeer tatsächlich beendet wird.
Nach einer kurzen Kundgebung ziehen wir einmal um die Binnenalster. Bringt Kerzen (windsicher, am besten Grablichter) mit!

Am 05. November finden wieder überall in Deutschland am Seenot-Montag dezentrale Flashmobs der Rettungsboote statt – auch du kannst dabei sein!

Mehr Seenotrettung ist nötig! Die echten Boote liegen fest, aber jeden Montag lassen wir überall Boote nachwachsen, so dass die neue Woche gleich hoffnungsvoll beginnt! Gefaltete, mit Straßenkreide gemalte, auf dem Fahrradgepäckträger herum gefahrene, als Brosche getragene… was immer euch einfällt. Alle Boote tragen eine “Boot”schaft und ergeben zusammen einen dezentralen “Flashmob” aus Booten. Alle können mitmachen, mit viel oder wenig Aufwand, als Gruppenaktion oder alleine auf dem Weg zur Arbeit. Egal ob am Wohnzimmerfenster oder an der Bushaltestelle, ob du nur ein Boot beiträgst oder viele: Hauptsache, viele viele Boote im öffentlichen Raum. Macht Fotos und postet sie mit #seenotmontag, oder macht eure Aktion still und leise. Schreibt Presse an und berichtet. Teilt diese Veranstaltung, übersetzt sie in andere Sprachen oder erstellt eigene lokale Veranstaltungen. Und ganz wichtig: für jede Einzelaktion und evtl entstehenden Dreck oder Müll sind natürlich alle selbst verantwortlich!
#Seenotmontag #seebrücke

#NichtMeineLager

AnkERzentren, Kontrollierte Zentren, Ausschiffungsplattformen – bei der Abwehr von Geflüchteten kennt die gegenwärtige europäische Politik vor allem eine Antwort: Isolation in Lagern.

Wer auf dem Mittelmeer in die Hände der libyschen Küstenwache gerät, dem droht die Verschleppung in eines der berüchtigten libyschen Gefangenenlager.
Wer den griechischen EU-„Hotspot“ Moria auf Lesbos erreicht, sitzt dort unter menschenunwürdigen Bedingungen fest.
Wem die Flucht bis nach Deutschland gelingt, dem drohen bis zu zwei Jahre Isolation in einem AnkERzentrum.
Dieser Entrechtung von Schutzsuchenden und der Entmenschlichung unserer Gesellschaft treten wir entschieden entgegen – das sind nicht unsere Lager!

UNTERSTÜTZEN SIE DIE AKTION VON PROASYL »NICHT MEINE LAGER«!

Für ein offenes und faires Europa! Für die Aufnahme geflüchteter Menschen! Für das Recht auf Schutz und Asyl.

Weitere Informationen finden Sie hier.

Neue UNHCR-Richtlinien: Abschiebungen sind dringend auszusetzen

UNHCR hat seine neuen Richtlinien zu Afghanistan veröffentlicht und bringt es auf den Punkt: Geflüchtete Afghan*innen können nicht nach Kabul geschickt werden! PRO ASYL forderte die Sammelabschiebung für Dienstag, den 11.09., akut auszusetzen. Entscheidungen über Leib und Leben dürfen diese Erkenntnisse nicht ignorieren. Trotzdem wurde der Abschiebeflug mit rund 20 Personen durchgeführt und ist am Mittwoch morgen in Kabul gelandet.

Das neue 120-Seiten-Papier des UNHCR beschreibt unter detaillierter Quellenangabe, wie sich die Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitäre Lage in Afghanistan weiter verändert hat. Diese Beschreibung verläuft diametral zur derzeitigen Praxis der Abschiebungen nach Afghanistan, konkret nach Kabul. Gerade für die entscheidende Frage der Situation in der Hauptstadt heißt es nämlich, dass dort kein Schutz zu finden ist (S. 114):

»UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an IFA/IRA [interne Schutz- oder Neuansiedlungsalternative] is generally not available in the city.«

UNHCR beschreibt ausdrücklich die Gefahren, die sich durch die verschärfte Sicherheitslage für Zivilist*innen ergeben (S. 112):

»(…) civilians who partake in day-to-day economic and social activities in Kabul are exposed to a risk of falling victim to the generalized violence that affects the city.«

»In Hinblick auf die gegenwärtige Sicherheits- und Menschenrechtslage, sowie die humanitäre Situation, ist Kabul keine generelle interne Fluchtalternative.«

Die Innenminister der Bundesländer müssen Abschiebungen nach Afghanistan stoppen, Behörden und Gerichte diese neuen Berichte ernst nehmen. Die derzeitige Asylentscheidungs- und Abschiebepraxis widerspricht den Fakten.

Weitere Informationen: ProAsyl