Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!

ProAsyl, 2. Dezember 2023: Viele Geflüchtete erhalten zum Leben lediglich Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – und damit weniger als das neue Bürgergeld, das laut Gesetz das menschenwürdige Existenzminimum sicherstellen soll. Aber die Menschenwürde kennt nicht zweierlei Maß. Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Anwält*innenverbände fordern gleiche Standards für alle: Das Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft werden. Die Betroffenen müssen in das reguläre Sozialleistungssystem eingegliedert werden.

Seit dem 1. Januar 2023 erhalten materiell bedürftige Menschen in Deutschland das sogenannte Bürgergeld. Das Bürgergeld tritt an die Stelle der bisherigen Hartz-IV- Leistungen. Geflüchtete wurden dabei allerdings nicht mitgedacht: Denn wie schon bei Hartz IV bleiben asylsuchende und geduldete Menschen auch vom Bürgergeld ausgeschlossen. Statt des regulären Sozialrechts gilt für sie das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Das Asylbewerberleistungsgesetz besteht seit 1993. Es ist ein Sonderrecht für geflüchtete Menschen. Das Leistungsniveau des Asylbewerberleistungsgesetzes unterschreitet das sozialrechtliche Existenzminimum erheblich. Die Regelsätze sind viel niedriger. Oft werden Geldleistungen durch Sachleistungen ersetzt, die die Menschen diskriminieren und entmündigen. Weil Sachleistungen den individuellen Bedarf nie wirklich decken können, stellen sie in der Konsequenz eine weitere drastische Leistungskürzung dar. Die Einschränkung der Gesundheitsversorgung führt oft zu verschleppter, verspäteter und unzureichender Behandlung. Sanktionen führen häufig zu weiteren Kürzungen, die mitunter über viele Jahre aufrechterhalten werden. Durch die fehlende Einbindung in das reguläre
Sozialsystem werden die Betroffenen zudem von den Maßnahmen der Arbeitsförderung weitgehend ausgeschlossen.

Erklärtermaßen hoffte man auf eine abschreckende Wirkung: Niedrige Geldbeträge und die Sachleistungsversorgung sollten Geflüchtete zur Ausreise bewegen. Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Anwält*innenverbände sind sich seit Einführung des Gesetzes darin einig, dass das Asylbewerberleistungsgesetz wieder abgeschafft werden muss.

2012 hat das Bundesverfassungsgericht in einer wegweisenden Entscheidung dafür gesorgt, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zumindest vorübergehend annähernd dem Hartz-IV-Niveau entsprachen. Zugleich erteilte das höchste deutsche Gericht dem Ansinnen, Sozialleistungen zur Abschreckung Asylsuchender einzusetzen, eine deutliche Absage: „Die in Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ (Beschluss vom 18.7.2012 – 1 BvL 10/10).

Trotzdem kürzte die große Koalition die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in den Jahren 2014 bis 2019 in mehreren Schritten erneut und weitete den Anwendungszeitraum von 15 auf 18 Monate aus. 2022 hat das Verfassungsgericht die 2019 eingeführten zusätzlichen Leistungskürzungen für Alleinstehende in Sammelunterkünften als verfassungswidrig gekippt (Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21). Ein weiteres Verfahren ist anhängig (1 BvL 5/21).

Auch zu den Sanktionen, die das Asylbewerberleistungsgesetz vorsieht, hat sich das Bundesverfassungsgericht geäußert. Aus dem Urteil zu den Hartz-IV-Sanktionen vom 5.11.2019 geht klar hervor, dass die Sanktionen des Asylbewerberleistungsgesetzes mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind.

Das Asylbewerberleistungsgesetz verstößt damit gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das Grundrecht auf Gleichheit, das Sozialstaatsgebot (Art. 1, 3, 20 GG), das Grundrecht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), die UN-Kinderrechtskonvention und den UN-Sozialpakt.

Die Bundesregierung will das Asylbewerberleistungsgesetz laut Koalitionsvertrag von 2021 „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ überarbeiten, doch das reicht nicht aus. Letztlich bleibt es damit beim doppelten Standard.

Unsere Forderungen

Es kann nicht zweierlei Maß für die Menschenwürde geben. Wir fordern das gleiche Recht auf Sozialleistungen für alle in Deutschland lebenden Menschen, ohne diskriminierende Unterschiede. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft werden. Die Betroffenen müssen in das reguläre Sozialleistungssystem einbezogen werden. Dies erfordert insbesondere folgende Änderungen:

  1. Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und Einbeziehung Geflüchteter ins Bürgergeld bzw. die Sozialhilfe (SGB II/XII). Auf migrationspolitisch motivierte Kürzungen und Sanktionen ist gemäß dem Urteil des BVerfG aus 2012 ausnahmslos zu verzichten.
  2. Einbeziehung aller Geflüchteten in die Sprach-, Qualifizierungs- und Arbeitsförderungsinstrumente des SGB II.
  3. Einbeziehung geflüchteter Menschen in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung (SGB V/XI). Dabei muss sichergestellt sein, dass auch Menschen ohne Papiere jederzeit ohne Angst vor Abschiebung Zugang zum Gesundheitssystem haben. Insbesondere muss ein Anspruch auf Sprachmittlung bei Inanspruchnahme von Leistungen im Gesundheitswesen verankert werden.
  4. Von Krankheit, Traumatisierung, Behinderung, Pflegebedürftigkeit Betroffene sowie schwangere, alleinerziehende und ältere Menschen und geflüchtete Kinder müssen – entsprechend ihrem Recht aus der EU-Aufnahmerichtlinie – einen Anspruch auf alle aufgrund ihrer besonderen Situation erforderlichen zusätzlichen Leistungen erhalten (insbesondere nach SGB IX, SGB VIII u.a.).
  5. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes sind als Geldleistungen
    auszugestalten

Die Liste der unterzeichnenden Organisationen finden Sie hier und eine umfangreiche Stellungnahme und Analyse zu Asylbewerberleistungsgesetz, Hartz IV und Bürgergeldgesetz finden Sie hier.

Geschichten statt Schokolade

„Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe, spricht Gott; ich will sie heilen.“ (Jesaja 57,19)

Frieden – kaum ein anderes Thema hat die politischen und auch die theologischen Diskussionen dieses Jahr so beschäftigt. Wie reden wir über Frieden? Wie sieht Friedensarbeit aus? Was ist wichtig und was verbietet sich? Was denken Menschen, die Krieg und Gewalt erlebt haben, dazu?

Willkommen zum #friedenAdventskalender!

Bis Weihnachten möchte er Sie und Euch begleiten mit 24 Geschichten, erzählt von Geflüchteten und Unterstützer:innen, die hier mit uns in Hamburg, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern leben. Sie berichten von persönlichen Erfahrungen mit Frieden und Unfrieden, von der Suche nach innerem Frieden oder der dauernden Zerrissenheit.

Die Erzählungen wollen nicht hinter ihren Türchen bleiben. Die Sehnsucht nach Frieden drängt nach außen, sie will verändern und leben. Diese Sehnsucht in unsicheren Zeiten möchten wir sichtbar machen – und zeigen, was alles dazugehört zu wirklichem Frieden: Nicht nur das Ruhen von Waffen, sondern Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit. Die Adventszeit lebt ja von Hoffnung darauf, manchmal aller Realität trotzend, oft gegen Widerstände.

Mögen sie also ausstrahlen, die Suchbewegungen nach Frieden von Sara, Wahid, Sorour, Hasib und den weiteren Nachbar:innen bei uns in der Nordkirche. Mögen sie, mögen wir alle mehr Frieden finden und bewirken, dass „Friede auf Erden“ spürbarer wird. Für die Menschen hier, die in Afghanistan, im Iran, der Ukraine, Syrien, Somalia und ach – überall.

Allen Erzählenden danken wir sehr für ihre Offenheit und ihren Mut und den weiteren Mitwirkenden, besonders den Flüchtlingsbeauftragten der Kirchenkreise in der Nordkirche, für ihr Engagement. Den Geschichten wünschen wir viele Leser:innen und dem Adventskalender eine weite Verbreitung. Wir werden uns weiter für den Schutz von Geflüchteten einsetzen und mitwirken an einer Kirche und einer Gesellschaft, die entschieden eintritt für Menschenrechte, die Empathie fördert und ermutigt zu Solidarität – und so auf Frieden hin wirkt. Nicht nur im Advent, aber gerade dann!

Tag der Menschenrechte

Heute, am 10. Dezember 2022, ist der »Internationale Tag der Menschenrechte«. Zugleich wird die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 fünfundzieb75 Jahre alt. Sie ist eine Errungenschaft im Einsatz für Gerechtigkeit, Gleichheit und Frieden auf der ganzen Welt. An diesem Tag muss einmal mehr darauf hingewiesen werden, dass heutzutage immer noch Menschenrechte an vielen Orten dieser Welt verletzt werden. Weltweit werden Menschen herabgesetzt , ihre Freiheit beschnitten, sodass von wirklicher Gerechtigkeit noch zu wenig zu spüren ist.

Als diesjähriges Schwerpunktthema des Internationalen Tags der Menschenrechte hat die UN „Würde, Freiheit und Gerechtigkeit für alle“ gewählt. Sie bezieht sich damit auf Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“

Anlässlich der weltweit zunehmenden Spannungen und Krisen sowie der verheerenden Kriege wollen wir deutlich machen und an alle appellieren, dass der Einsatz um Werte wie Würde, Freiheit und Gerechtigkeit nicht nachlassen darf.

#standup4humanrights

Weitere Infos der UN Kampagne: https://www.ohchr.org/en/get-involved/campaign/human-rights-day

Unser Blog

Es passt nicht zueinander, das Elend der Geflüchteten an unseren Grenzen und auf dem Meer und der Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt oder das Lametta am Baum. Obwohl: Weihnachten ist schon immer schon ein Fest der Sehnsucht und der Hoffnung gewesen, keines, das die Realität feiert.

Lesen Sie weiter auf unserem Blog. Dort finden Sie einen Weihnachtsgruß der Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche Dietlind Jochims.

Fluchtpunkt – keine offene Sprechstunde

Im Dezember 2022 bietet Fluchtpunkt keine offenen Sprechstunden an.

„Wir können im Dezember keine weiteren Sprechstunden anbieten, sondern müssen erst einmal ein bisschen abarbeiten. Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht, gerade jetzt, wo die Sprechstunden so voll sind, aber wir können es gar nicht verantworten noch Sachen anzunehmen, weil wir ihnen nicht mehr gerecht würden. Wir hoffen auf Euer Verständnis.“

Die nächste offene Sprechstunde findet am Mittwoch den 11.01.2023 statt, wie immer von 10:00 bis 14:00 Uhr.

EKD Synode

Die Synode der Evangelischen Kirche (EKD) in Deutschland hat am 6.-9. November in Magdeburg mehrere wegweisende Empfehlungen zur Gestaltung von Einwanderungsgesellschaft und zur Aufnahme Geflüchteter in Deutschland und Europa gefasst.

Die Synode ist eines der drei Leitungsgorgane der Evangelischen Kirche in Deutschland und kommt jährlich zusammen, berät und fasst Beschlüsse zu Kirchengesetzen, Haushaltsangelegenheiten u.v.m.

Die folgenden Anträge und Beschlüsse zu diesem Thema wurden einstimmig angenommen:

  1. Zur Menschenrechtslage an den Außengrenzen der EU: Die Synode ruft auf, dass es keine weiteren Einschränkungen des Asylrechts gibt, um das gemeinsame europäische Asylsystem nicht weiter auszuhöhlen, und die EU-Mitgliedstaaten sich bei den politischen Verhandlungen an den positiven Erfahrungen bei der Aufnahme der Ukrainer*innen orientieren.
  2. Zur Situation von Geflüchteten: Die Synode bittet die Bundesregierung, Asylverfahren unter Wahrung der Prozessrechte der Betroffenen, am besten durch eine Wiederangleichung an das Allgemeine Verwaltungsrecht, zu beschleunigen. Im Rahmen der Einwanderungsgesetzgebung soll Geflüchteten ein „Spurwechsel“ ermöglicht werden. Die völkerrechtswidrige Praxis der Pushbacks von Geflüchteten an den EU-Außengrenzen soll skandalisiert werden.
  3. Zum Bundesaufnahmeverfahren für gefährdete Afghan*innen: Die EKD soll sich bei der Bundesregierung dafür einsetzen, dass das Bundesprogramm ausreichend und langfristig finanziert wird, Zivilgesellschaft daran beteiligt ist und weitere sichere Fluchtwege geschaffen werden, auch für den Nachzug von Familienangehörigen
  4. Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft gesetzlich verankern: Die Synode der EKD begrüßt die Schaffung eines Partizipationsgesetzes. Sie will die Schaffung verbindlicher Zielgrößen zur Vertretung von Menschen aus Einwanderungsfamilien gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil im Öffentlichen Dienst, in den Ministerien, in sämtlichen Bereichen der Verwaltung, Gremien des Bundes und den Sozialversicherungen und in der Personalvertretung. Die evangelische Kirche strebt Entsprechendes auch in ihren eigenen Strukturen an. Die Möglichkeit von ausgleichenden Positiven Maßnahmen („affirmative action“) zur Gleichstellung ist daher im Grundgesetz zu verankern, wie dies auch bzgl. der Gleichstellung von Mann und Frau in Art. 3 Abs. 2 GG der Fall ist. Hinzuweisen ist auch auf den Beschluss Anti-Diskriminierung, Gewaltprävention und Diversitätsorientierung stärken.

Bürgergeldgesetz

PRO ASYL und Landesflüchtlingsräte fordern die Einbeziehung von Flüchtlingen in das Bürgergeldgesetz

(10. Oktober 2022) Anlässlich der für heute geplanten Verabschiedung des Bürgergeldgesetzes im Bundestag legen PRO ASYL und der Flüchtlingsrat Berlin eine umfassende Analyse des Asylbewerberleistungsgesetzes vor, die zeigt: Das Sondergesetz für Asylsuchende ist diskriminierend und gehört abgeschafft.

Mit dem geplanten Bürgergeldgesetz bekommt Hartz IV einen neuen Namen. Die Beträge werden inflationsbedingt angehoben und es soll Erleichterungen bei Freibeträgen und Sanktionen geben. Etwas Wesentliches ändert sich nicht: Viele Geflüchtete erhalten weiterhin keine regulären Sozialleistungen. Die diskriminierenden Ausschlüsse für Asylsuchende und Geduldete aus Hartz IV werden unverändert in das Bürgergeldgesetz übernommen (§ 7 Abs. 1 SGB II) – sie werden weiterhin auf das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) verwiesen.

Dabei hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für alle in Deutschland lebenden Menschen gleichermaßen gilt, und dass dieses Grundrecht nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf (BVerfG vom 18.07.2012). Die Ampel-Koalition hält dennoch am diskriminierenden AsylbLG fest.

Hier wurde eine große Chance vertan, mit Einführung des Bürgergeldes alle Geflüchtete endlich in das normale Sozialsystem zu integrieren. Das Festhalten am Asylbewerberleistungsgesetz mit seinem gekürzten Existenzminimum für Geflüchtete, dem Entzug von Bargeld und der Versorgung durch Sachleistungen ist eine bewusste Demütigung und Entmündigung von schutzsuchenden Personen in Deutschland“, so Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin.

Auch Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL, kritisiert: „Ein solches diskriminierendes Sondergesetz ist aus der Zeit gefallen, das Asylbewerberleistungsgesetz gehört endlich abgeschafft. Ein menschenwürdiges und möglichst selbstbestimmtes Leben sollte allen Geflüchteten von Anfang an in Deutschland ermöglicht werden. Die völlig unzureichenden Leistungen in dem Gesetz sowie weitere ausgrenzenden Maßnahmen wie das Arbeitsverbot oder die Unterbringung in Sammelunterkünften erschweren Schutzsuchenden unnötigerweise das Ankommen.

Das AsylbLG sieht Sachleistungen für Essen, Kleidung und Unterkunft, eine menschenrechtswidrige Minimalmedizin, im Fall von Geldleistungen generell gekürzte Regelsätze für Erwachsene und Kinder, eine nochmalige 10%ige Kürzung für Alleinstehende und Alleinerziehende in Sammelunterkünften sowie Sanktionen mit Kürzungen der Regelleistungen um weit mehr als die Hälfte vor.

PRO ASYL legt heute gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Berlin anlässlich der Verabschiedung des Bürgergeldgesetzes die umfassende Analyse Das Asylbewerberleistungsgesetz – Einschränkungen des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für Geflüchtete. Bedarfsdeckung und Regelsätze nach Asylbewerberleistungsgesetz, Hartz IV und Bürgergeldgesetz vor.

Darin werden im Detail Historie und Zielsetzung des Gesetzes sowie die Methodik zur Ermittlung der Hartz-IV-Regelsätze (künftig „Bürgergeld“ genannt) und der Leistungssätze des AsylbLG untersucht. Besonders problematisch tritt dabei das angeblich geringere Existenzminimum geflüchteter Menschen nach dem AsylbLG zutage. Bei der scheinbar objektiven empirischen „Bedarfsermittlung“ zeigen sich gravierende Mängel. Sehr viele Bedarfe von Asylsuchenden lässt der Gesetzgeber ohne nachvollziehbare Begründung einfach unter den Tisch fallen.

Das Gesetz steht derzeit erneut beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf dem Prüfstand (Aktenzeichen 1 BvL 3/21 und 1 BvL 5/21).

PRO ASYL und alle Landesflüchtlingsräte fordern die Abschaffung des diskriminierenden Sondergesetzes und die Einbeziehung aller Geflüchteten in das Bürgergeldgesetz.

Geschwister gehören zusammen!

Anlässlich der anstehenden Gesetzesänderung zum Geschwisternachzug haben Terre de hommes eine Kampagne gestartet unter dem Hashtag #GeschwisterGehörenZusammen.

Geflüchtete unbegleitete Minderjährige haben einen Anspruch auf Nachzug ihrer Eltern, wenn sie im Asylverfahren als Flüchtlinge anerkannt worden sind. Für ihre minderjährigen Geschwister fehlt im deutschen Aufenthaltsrecht jedoch eine spezifische Rechtsgrundlage, die ihnen den Nachzug ermöglicht. Das führt zum Beispiel dazu, dass dann nur ein Elternteil nach Deutschland kommt und die Geschwister mit dem anderen Elternteil zurückbleiben müssen. Es besteht zwar später dann teils die Chance, dass der zurückgebliebene Teil der Familie zu dem Elternteil, dass sich in Deutschland befindet, sukzessive nachziehen kann – doch die rechtlichen und bürokratischen Hürden sind hoch. Viele Familien bleiben in der Folge über Jahre oder dauerhaft getrennt. 

Für diejenigen unbegleiteten Minderjährigen, deren Eltern beispielsweise verstorben sind oder die ihre Eltern auf der Flucht verloren haben, ist es noch schwerer, ihre minderjährigen Geschwister zu sich zu holen, da ein sukzessiver Nachzug nicht möglich ist. Es ist daher wichtig, dass ein Recht auf Nachzug der Geschwister unabhängig von den Eltern besteht.

Mit ihrem Koalitionsvertrag hat die Ampel-Koalition im Oktober 2021 die Absicht angekündigt, minderjährige Geschwister beim Familiennachzug nicht länger zurückzulassen. Terre de Hommes fordern von der Bundesregierung, dies nun umzusetzen und: 

  1. einen konkreten Anspruch auf Geschwisternachzug in § 36 Abs. 1 AufenthG zu formulieren 
  2. § 36a AufenthG ersatzlos zu streichen, damit der Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wieder dem zu Flüchtlingen gleichgestellt wird 
  3. Übergangsregelung für wartende Familien zu schaffen 
  4. Die EuGH-Urteile zum Nachzug bei Volljährigkeit umzusetzen – auch bei subsidiär Schutzberechtigten und Geschwistern

(Quelle: Terre de Hommes)

Hier gibt es weitere Informationen zur Kampagne.

Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan

Am 17. Oktober verkündete die Bundesregierung ein neues Bundesaufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan. ProAsyl kritisiert das vorliegende Konzept als unzureichend.

„Endlich soll es ein #Bundesaufnahmeprogramm für Menschen aus #Afghanistan geben. Der Start des Programms ist längst überfällig und als Hoffnungsschimmer für viele verzweifelte Afghan*innen sehr wichtig. Es muss jede Chance genutzt werden, Verfolgte vor den Taliban zu retten. Das Konzept ist aber an vielen Stellen mangelhaft:

Das Programm gilt nur für „afghanische Staatsangehörige in Afghanistan“. Schutzsuchende, die bereits in Drittstaaten ausharren, sind davon ausgenommen. Da die Menschen aber nun über ein Jahr von den deutschen Behörden allein gelassen wurden, hatten viele gar keine andere Möglichkeit, als sich ins benachbarte Ausland zu retten, um ihr Leben zu schützen.

Außerdem: Die Forderung der Bundesaußenministerin, besonders Frauen und Mädchen zu schützen, ist vollkommen richtig. Wir warnen aber vor einer Verengung des Programms: Im Falle von Racheaktionen durch Taliban geraten überwiegend männliche Familienangehörige ins Visier!

Und drittens läuft das Aufnahmeverfahren nicht etwa über eine inhaltliche Prüfung sachlich begründeter Anträge durch Menschen, sondern ein IT-Scoringsystem bewertet mit einem digitalen Berechnungsverfahren und Ja/Nein Fragen, wer in Frage kommt. Erst dann kommen einige Anträge in die weitere Auswahl. Der Algorithmus spielt also Schicksal – zu Lasten von gefährdeten Menschen ohne größere IT- und Sprachkenntnisse.“

Zur Pressemitteilung von ProAsyl.

Presseerklärung PRO ASYL

Sieg vor dem Bundesverwaltungsgericht für Geflüchteten aus Eritrea

11. Oktober 2022: PRO ASYL begrüßt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das heute entschieden hat, dass die Abgabe einer Reueerklärung für Geflüchtete unzumutbar ist. Rechtsexperte Peter von Auer spricht von einem wegweisenden Urteil.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass die Abgabe einer sogenannten Reueerklärung unzumutbar ist. „Einem subsidiär schutzberechtigten Ausländer darf die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer nicht mit der Begründung verweigert werden, er könne einen Pass seines Herkunftsstaates auf zumutbare Weise erlangen, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes an die Unterzeichnung einer „Reueerklärung“ knüpft, die mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verbunden ist, und der Ausländer plausibel darlegt, dass er die Erklärung nicht abgeben will“, urteilte das Gericht.

„Es ist ein wegweisendes Urteil, das klar macht: Wer der eritreischen Diktatur entkommen ist und hier Schutz findet, darf nicht von deutschen Behörden dazu genötigt werden, sich für die Inanspruchnahme konsularischer Dienstleistungen wie die Beschaffung eines Nationalpasses an sein Herkunftsland zu wenden und diesem gegenüber zu erklären, dass er mit einer Bestrafung für die Flucht aus dem mörderischen Nationaldienst und aus dem Land einverstanden ist“, erklärt Peter von Auer, Rechtsexperte bei PRO ASYL. Die Menschenrechtsorganisation hat das Gerichtsverfahren finanziell bezuschusst.

Geflüchtete Männer und Frauen aus Eritrea standen bislang vor dem Problem, dass deutsche Behörden sie aufforderten, sich an die eritreische Botschaft zu wenden, um dort Dokumente zu erhalten, die die deutschen Behörden verlangten. Das trifft beispielsweise auf einen Familienvater zu, der seine Frau und Kinder nachholen möchte, ebenso wie auf eine subsidiär Geschützte, die von den Ausländerbehörden aufgefordert wird, zur Passbeschaffung bei der eritreischen Botschaft vorzusprechen. Dort mussten sie dann eine Reueerklärung abgeben, in der sie ihre Flucht und die „Nichterfüllung nationaler Verpflichtungen“ angeblich bereuen „Mit dem heutigen Urteil ist endlich  Schluss damit, dass Geflüchtete sich zur Passbeschaffung an den Staat wenden müssen, der sie in vielen Fällen verfolgt und gequält hat“, sagt Peter von Auer. „Die Bundesregierung muss auch darüber hinaus eine klare Abgrenzung zum diktatorischen Regime Eritreas finden. Deshalb sollten deutsche Behörden künftig auch darauf verzichten, von Eritreer*innen die Dokumentenbeschaffung zu verlangen, wenn diese an die Zahlung der sogenannten Diasporasteuer geknüpft ist, also einer erzwungenen finanziellen Unterstützung des eritreischen Regimes“, fordert er.

Hintergrund

Der Kläger ist eritreischer Staatsangehöriger. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewährte ihm subsidiären Schutz, weil ihm aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Eritrea bei einer Rückkehr eine Inhaftierung drohe, die mit Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbunden sei. Die Ausländerbehörde lehnte seinen Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ab, weil es dem Kläger zuzumuten sei, bei der Botschaft Eritreas einen Passantrag zu stellen. Die darauf erhobene Verpflichtungsklage hatte in erster Instanz Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Reiseausweises seien nicht erfüllt. Anders als Flüchtlingen sei es subsidiär Schutzberechtigten grundsätzlich zumutbar, sich bei der Auslandsvertretung ihres Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen. Zumutbar sei auch die vom eritreischen Konsulat verlangte Abgabe einer „Reueerklärung“ , in der der Erklärende bedauere, seiner nationalen Pflicht nicht nachgekommen zu sein, und erkläre, auch eine eventuell dafür verhängte Strafe zu akzeptieren.

Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat heute die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts geändert und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Der Kläger kann die Ausstellung eines Reiseausweises beanspruchen, weil er einen eritreischen Pass nicht zumutbar erlangen kann und auch die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die in der Reueerklärung enthaltene Selbstbezichtigung einer Straftat darf ihm gegen seinen plausibel bekundeten Willen auch dann nicht abverlangt werden, wenn sich – wie vom Berufungsgericht festgestellt – die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung dadurch nicht erhöht.

Zur desaströsen Menschenrechtslage in Eritrea und der Situation eritreischer Geflüchteter in Deutschland finden Sie weitere Informationen auf der Website von PRO ASYL:

Eritrea: Einblicke hinter die Kulissen

Familiennachzug Eritrea: Auswärtiges Amt verursacht jahrelange Trennungen