Faktencheck zur Vollzugsdefizit-Propaganda

Nach dem TV-Duell: »Wann sind die weg?« – Der Faktencheck zur Vollzugsdefizit-Propaganda.

PRO ASYL fordert Bleiberecht statt Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete

Im TV-Duell wurden Merkel und Schulz mit der Aussage konfrontiert, es müsse konsequenter abgeschoben werden. Der provokative Vorwurf lautete: Es gebe insgesamt zu wenige Abschiebungen – trotz gegenteiliger Ansagen. Die Mehrheit der Ausreisepflichtigen sei zu Unrecht in Deutschland.

Es handelt sich hierbei um eine wiederholte, faktenfreie Auflage der Propaganda vom Vollzugsdefizit, wie sie oft von rechtspopulistischer Seite aufgeworfen wird. Durch diese Verzerrung wird eine sachliche Debatte um Lösungen schwieriger. Schaut man sich die Zahlen und Fakten genauer an, ist die Sachlage komplexer als dargestellt.

PRO ASYL fordert, sich rechtspopulistischer Aufbauscherei und Angstmacherei mit falschen Zahlen und Aussagen entschieden und mit Klarheit entgegenzustellen. Schon zu lange wird in der Flüchtlingsfrage mit falschen Zahlen und Prognosen Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht. Durch diese Verzerrung wird eine sachliche Debatte um Lösungen verhindert. PRO ASYL fordert ein Bleiberecht statt Abschiebung in Kriegs- und Krisengebiete.

  • DIE MÄR VOM ANGEBLICHEN VOLLZUGSDEFIZIT LENKT VON UNGELÖSTEN PROBLEMEN AB

Die Zahl der Ausreisepflichtigen wird vermengt mit der Zahl der nach Ablauf des Asylverfahrens Geduldeten. Die Vollzugsdefizit-Propaganda verstellt die im Interesse der Gesamtgesellschaft und der Asylsuchenden nötige Bleiberechtsregelung. Es ist zu erwarten, dass die Zahl der Geduldeten, also derjenigen, die aus guten Gründen nicht abgeschoben werden dürfen, in Zukunft zunimmt. Allein in diesem Jahr wurden rund 44.000 Afghan*innen und rund 18.000 Iraker*innen abgelehnt. Es ist absurd anzunehmen, man könne in großem Stil zehntausende abgelehnte Asylsuchende in Kriegs- und Krisenregionen wie z.B. Afghanistan, Irak und andere zurückverfrachten. Eine Überarbeitung der Bleiberechtsregelung für länger Geduldete muss nach der Bundestagswahl auf die Tagesordnung.

  • GNADENLOSE ÜBERZEICHNUNG DER ZAHLEN: DIE MEISTEN SIND ZURECHT HIER

Zum Stichtag 30. Juni 2017 waren 226.457 Personen ausreisepflichtig, von diesen waren 159.678 Inhaber einer Duldung. Ihre Abschiebung wurde also ausgesetzt. Als ausreisepflichtig gelten nämlich auch durchaus Personen, die aus Rechtsgründen nicht abgeschoben werden dürfen – und nicht aufgrund laxen Behördenhandelns hier sind: Familiäre oder medizinische Gründe können beispielsweise zur Aussetzung der Abschiebung führen. Auch in Kriegs- und Krisengebiete wird oftmals nicht abgeschoben, die Betroffenen werden behördlich geduldet.

  • WENIGER ALS DIE HÄLFTE DER AUSREISEPFLICHTIGEN KAMEN ALS ASYLSUCHENDE

Die Annahme, dass alle Ausreispflichtigen auch Asylsuchende waren, ist falsch, denn ein »Flüchtlingsthema« ist das Thema der Ausreisepflichtigen nur in weniger als der Hälfte aller Fälle. Demnach waren nur 103.397 der (damals 220.052) ausreisepflichtigen Personen abgelehnte Asylbewerber*innen. Die Fakten stammen aus der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Links-Fraktion im Bundestag zu unklaren Daten des Ausländerzentralregisters (AZR) zu Ausreisepflichtigen (BT-Drs. 18/12725 vom 14.06.2017) und bezieht sich auf die damals greifbaren Zahlen zum Ende des ersten Quartals 2017. Nur 47% der Ausreisepflichtigen hatten einen Asylantrag gestellt – und davon sind die meisten (mehr als 75.000 von 103.397) geduldet.

  • NICHT VERZEICHNETE AUSREISEN

Von den rund 226.000 Ausreisepflichtigen waren laut AZR-Statistik 66.779 Personen ohne Duldung in Deutschland registriert. Doch sind sie überhaupt noch hier? Ein Großteil der Ausreisen erfolgt ohne Meldung bei den Behörden. Die Betroffenen kehren möglicherweise »freiwillig«, aber ohne staatliche Förderung (dann wären sie ja erfasst) in ihr Herkunftsland zurück oder ziehen in andere Staaten weiter. Diese Informationen fehlen im AZR.

  • AZR: FUNDGRUBE VON UNKLARHEITEN

Im Übrigen ist schon die Zahl der Ausreisepflichtigen an sich anzuzweifeln: Für die aktuelle Propaganda des Vollzugsdefizits werden ganz überwiegend die Zahlen des Ausländerzentralregisters herangezogen. Dieses aber ist eine Fundgrube von Unklarheiten, Erfassungsproblemen und interpretationsbedürftigen Begriffen, wie aus der Bundestagsdrucksache 18/12725 hervorgeht: Das Ausländerzentralregister ist immer noch ein denkbar schlechter Kronzeuge für angeblich versäumte Abschiebungen.

  • REGIERUNG KANN ZAHLEN NICHT ERKLÄREN

Eine Vielzahl von Speichersachverhalten konnte die Bundesregierung gar nicht erklären. Von mehr als 50.000 Ausreisepflichtigen, die über keine Duldung verfügten, hatten über 17.000 bereits seit drei Monaten keine Duldung mehr, was rechtlich schwer vorstellbar ist und ebenfalls darauf deutet, dass ein Teil von ihnen ohne Registrierung im AZR bereits ausgereist ist.

Die Bundesregierung hat eine vierstellige Zahl von unplausiblen AZR-Einträgen eingeräumt. Zu Personen, die bereits während laufender Asylverfahren Deutschland möglicherweise wieder verlassen haben, hatte die Bundesregierung keine validen Angaben anzubieten. Die Bundesregierung hatte zugegeben, dass nicht offiziell registrierte Ausreisen zu statistisch überhöhten Zahlen zu den angeblich noch in Deutschland lebenden Ausreisepflichtigen führen müssen.

 

Presseerklärung von ProAsyl vom 4. September 2017

Wer steht eigentlich zur Wahl?

In 17 Tagen wählen wir einen neuen Bundestag – der Wahlkampf ist in seiner heißen Phase. Insgesamt 48 Parteien sind dieses Jahr zur wahl zugelassen. Doch welche Partei vertritt meine Meinung und Interessen am Besten? Es gibt wohl kaum Menschen, die sich die 17 Stunden nehmen, um alle Wahlprogramme zu lesen. Neben dem bekannten Wahl-O-Mat hat die Diakonie Deutschland einen Sozial-O-Mat entwickelt, mit dem Sie Ihre Standpunkte mit den Antworten von sechs großen Parteien zu den sozialen Themen der Bundestagswahl 2017 vergleichen können. Außerdem sehen Sie, welche Auswirkungen die politischen Entscheidungen auf das Leben von einzelnen Menschen haben.

Der Sozial-O-Mat ist keine Wahlempfehlung, sondern ein Informationsangebot der Diakonie zu den Themen Familie, Armut, Pflege und Flucht.

Bei der Bundestagswahl 2017 entscheiden Sie, als Wählerinnen und Wähler darüber, wie ein soziales Deutschland aussehen soll. Der Sozial-O-Mat der Diakonie Deutschland hilft Ihnen dabei. Anhand von zwölf Thesen zu den Themen Familie, Flucht, Pflege und Armut vergleichen Sie Ihre Positionen mit denen der Parteien. Außerdem erfahren Sie durch persönliche Geschichten, was Ihre eigene Wahlentscheidung für das Leben der Menschen in unserem Land bedeutet.

Hier kommen Sie zum Sozial-O-Mat der Diakonie Deutschland.

 

Eine weitere Entscheidungshilfe soll durch Transparenz geschaffen werden. Die Internetplattform www.abgeordnetenwatch.de ist der direkte Draht von Bürgerinnen und Bürgern zu den Abgeordneten und Kandidierende. „Bürger fragen – Politiker antworten“ ist der Kern des Portals. Der öffentliche Dialog schafft Transparenz und sorgt für eine Verbindlichkeit in den Aussagen der Politiker. Denn alles ist auch Jahre später noch nachlesbar. Daneben werden auf abgeordnetenwatch.de das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten und ihre Nebentätigkeiten öffentlich.
Somit werden eine öffentliche Form des Austausches zwischen Bürger*innen und Politikern geboten, ein höherer Rechenschaftsdruck der Politiker gegenüber den Wählern herbeigeführt,  Parlamente und Abgeordnete stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, umfangreichere und vollständigere Berichterstattung über Politik ermöglicht, einseitige Medienberichte leichter hinterfragbar gemacht, ein einfacher und direkter Zugang zu politischen Informationen gewährleistet und mehr Transparenz
sowie eine dauerhafte Beteiligungsmöglichkeit für Wählerinnen und Wähler geschaffen.

Neben der Möglichkeit eigene Fragen an Politiker*innen zu stellen, bietet die Seite einen „Kandidaten-Check: Welcher Politiker aus meinem Wahlkreis passt zu mir? “ und die Erstellung eines „#Wahrplakat: Wie haben die Abgeordneten in den letzten 4 Jahren im Bundestag abgestimmt?

 

Die politische Zukunft unseres Landes liegt in unserer Hand. Informieren Sie sich und nutzen Sie das Privileg wählen zu dürfen.

Aus den Augen – aus dem Sinn

Weniger Flüchtlinge sollen im Mittelmeer ertrinken – aber auch weniger insgesamt nach Europa kommen. Das ist das Ziel, das die EU auf dem afrikanischen Kontinent verfolgt. Auf einem Gipfeltreffen am 28.8.2017 in Paris, an dem neben den Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien auch diejenigen von Niger, Tschad und Libyen sowie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini teilnahmen, wurde deutlich, wie die großen EU-Staaten sich diese Lösung vorstellen. Geflüchtete sollen nach ihrer Vorstellung bereits in Lagern im Tschad und Niger um Asyl nachsuchen; wenn sie den Kriterien des UNHCR entsprechen, sollen sie dann legal nach Europa einreisen können.

Die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL kritisierte den Vorstoß. Er bedeute die Abschaffung des individuellen Rechtsanspruchs auf Asyl. Tatsächlich kann die EU auf dem afrikanischen Kontinent keine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten gewährleisten. In den libyschen Haftlagern, die mancher europäische Politiker gern zu „Schutzzonen“ erklären möchte, wird gefoltert und vergewaltigt. Auch gründliche Asylverfahren sind weder hier noch im Tschad oder Niger zu erwarten, geschweige denn eine sorgfältige Nachprüfung negativer Entscheidungen durch unabhängige Gerichte.

Neben den gravierenden menschenrechtlichen Fragen blieb auf dem Gipfel völlig offen, in welcher Größenordnung sich denn eine Flüchtlingsaufnahme direkt aus Afrika bewegen könnte. Die vier EU-Regierungschefs machten hierzu keine konkreten Angaben.

Dem Sterben im Mittelmeer und auch in der Sahara Einhalt zu gebieten, ist grundsätzlich richtig. Angesichts der heute schon fehlenden Bereitschaft mehrerer EU-Staaten, weitere Geflüchtete aufzunehmen, und der tiefen Zerstrittenheit der Union in dieser Frage steht aber zu befürchten, dass der Vorstoß der Staaten am Ende darauf hinausläuft, Europas Grenzen noch weiter nach außen zu schieben. „Statt Fluchtursachen werden Flüchtlinge bekämpft“, kritisierte die Grünen-Politikerin Claudia Roth. Die Not der Flüchtlinge wäre dadurch nicht behoben. Europa würde sie aber auf Distanz halten – aus den Augen, aus dem Sinn.

„Unsere Grenzen bleiben offen!“

Dass es auch anders gehen kann, berichtet der Minister für Flüchtlingsangelegenheiten in Uganda in einem Interview mit der TAZ. (21.6.17)

Ugandischer Politiker über Flüchtlinge

„Unsere Grenzen bleiben offen!“

In Uganda werde niemand abgewiesen, sagt Musa Ecweru, Minister für Flüchtlingsangelegenheiten. Denn man habe aus der Geschichte gelernt.

taz: Herr Ecweru, in Uganda stehen die größten Flüchtlingslager der Welt. Warum?

Musa Ecweru: Wir haben eine der liberalsten Flüchtlingspolitiken der Welt. Wir betrachten Flüchtlinge als Menschen, nicht als Menschen zweiter Klasse. Wir Ugander haben sehr viel Empathie für Menschen in Not. Dreiviertel der Mitglieder unserer derzeitigen Regierung haben selbst Erfahrungen im Exil gemacht. Wir kamen nach dem Krieg vor 30 Jahren alle nach Hause und haben unsere Erfahrungen geteilt.

Was folgte daraus?

Bei uns hat sich das Gefühl entwickelt, dass wir Menschen, die heute auf der Flucht sind, gut behandeln wollen. Sie sind unsere Brüder. Als wir vor 30 Jahren unsere erste Regierung aufgebaut haben, schlitterte die Region in eine wirklich turbulente Zeit. Staaten wie Ruanda, Kongo oder Somalia und Sudan kollabierten Uganda war urplötzlich eine Insel des Friedens. Das ist bis heute so.

Wer sind die Menschen, die in Uganda Schutz suchen?

Es sind mittlerweile rund 1,2 Millionen – so viele waren es noch nie. Die ersten Flüchtlinge, die wir aufnahmen, waren polnische Juden, die während des Zweiten Weltkrieges aus Europa flohen. Derzeit sind die größte Flüchtlingsgruppen Südsudanesen und Kongolesen. Doch wir beherbergen auch Burundier, Somalier, Eritreer, Menschen aus dem Jemen und verfolgte Minderheiten aus Pakistan, sogar aus Liberia, also Westafrika. Vor wenigen Jahren stürmte eine ganze Fußballmannschaft aus Eritrea mein Büro, nachdem sie gegen Uganda gespielt hatten – ich habe ihnen sofort Asyl gewährt. Ich bin gerade im Nordosten des Landes gewesen, dort sind aufgrund der Dürre kenianische Hirten mit über 70.000 Rindern einmarschiert, weil sie keine Wasserstellen mehr finden. Diese Kühe kommen ohne Visum, wir haben auch ihnen Asyl gewährt (lacht).

Der 52-Jährige ist seit 2006 Ugandas Staatsminister für Flüchtlingsangelegenheiten und Katastrophenschutz. Er gehört zur Partei National Resistance Movement, die das Land seit 1986 regiert.

Ist es nicht schwierig, diesen Ansturm zu bewältigen?

Trotz all unserer Willkommenskultur, stehen wir vor großen Herausforderungen. Wir haben an der Grenze zu Südsudan einfach nicht mehr genug Platz. Da wir keine Lager bauen, sondern Siedlungen, wo jede Familie auch einen Acker bekommt, um Lebensmittel anzubauen, ist der Bedarf an Land enorm.

Wie steht es um die Sicherheit?

Das ist ein weiteres Problem, wir müssen sicherstellen, dass die Flüchtlinge keine Waffen und Munition mitbringen. Und weil die Gesundheitsversorgung in den Heimatländern zusammengebrochen ist, sind Kinder nicht geimpft oder haben Folgen von Mangelernährung. Im Kongo ist Ebola ausgebrochen, zwar weit von unserer Grenze, aber bei Fluchtbewegungen weiß man nie. Wir dürfen uns hier keine Schlupflöcher erlauben, sonst wird es gefährlich.

Wie klappt es mit der Versorgung der Flüchtlinge?

Negative Folgen hat der enorme Energiebedarf der Flüchtlingslager. Die Frauen kochen mit Holzkohle. Ein einziges Lager kann in wenigen Tagen einen ganzen Wald verheizen. Für unsere Sozialdienste und die dort lebenden Ugander ist der Druck jetzt enorm: Die Klassenzimmer sind überfüllt, die Gesundheitszentren ebenfalls. Das hat Nachteile für die lokale Bevölkerung. Wir müssen aufpassen, dass dort nicht bald mehr Flüchtlinge als Einheimische wohnen

Haben Sie in Betracht gezogen, die Grenze zu schließen?

Niemals, unsere Grenzen bleiben offen! Dass Europa jetzt seine Grenzen dichtmacht, halten wir für falsch, sehr falsch! Flüchtlinge sind Opfer eines gescheiterten internationalen Systems der Friedenssicherung. Die internationale Gemeinschaft sollte dafür sorgen, dass solche Konflikte wie im Südsudan gar nicht erst ausbrechen, oder dass solche Regime wie in Eritrea erst gar nicht entstehen. Die Grenzen zu schließen, würde bedeuten, den Opfern auch noch ins Gesicht zu schlagen. Das ist moralisch einfach grundsätzlich falsch.

Sagen Sie das auch Politikern in Europa so deutlich?

Ich war vor wenigen Wochen in Dänemark und habe das dort den Abgeordneten genauso gesagt, denn die EU und die USA haben als Großmächte eine wichtige friedenssichernde Rolle in der Welt. Sie sind also mit verantwortlich. Die Dänen saßen alle stocksteif da. Sie waren schockiert, dass ein Afrikaner ihnen so etwas ins Gesicht sagt.

In Europa sagen manche, dass die vielen Flüchtlinge Unsicherheit bringen …

Ich habe in Dänemark auch klipp und klar gesagt: Der Begriff „Flüchtling“ ist kein Synonym für Kriminelle oder Terroristen. Klar, gibt es immer ein, zwei, drei Fälle, in welchen sich Kriminelle zwischen Hunderttausenden Flüchtlingen verstecken. Aber das ist noch lange kein Grund für Fremdenhass, so wie er jetzt in Europa aufkeimt.

Haben Sie keine Angst vor Terror?
 
Wir hatten in Uganda 2010 auch Terroranschläge und verdächtigten somalische Attentäter. Doch ich bin jeden Tag vor die Kameras getreten und habe an die Ugander als auch an die Somalier appelliert und erklärt: Wir werden die Täter fassen, egal welcher Nationalität sie angehören, es sind Einzeltäter und wir werden keine Gruppen von Menschen unter Verdacht nehmen. Kein Land sollte fremdenfeindliche Tendenzen erlauben, um Terrorismus zu bekämpfen. Wir Afrikaner erwarten das von Europa, denn Europa ist die Wiege der Menschenrechte.

Andere Länder, die unter Anschlägen leiden, werden jetzt hochgerüstet an Flughäfen und Grenzen. Kenia will sogar eine Mauer nach Somalia bauen. Spielt Uganda auch mit diesen Gedanken?

Nein, wir würden das niemals akzeptieren, denn selbst die beste Sicherheitstechnologie und Überwachungskameras an jeder Ecke wird die Täter nicht aufhalten Das haben wir bereits beim 9/11-Anschlag in New York gesehen. Wir müssen die Ursachen der Radikalisierung dieser Täter angehen. Eine Mauer – das würde uns nie in den Sinn kommen, denn wir sind Panafrikanisten. Wir sind überzeugt: Grenzen haben keine Zukunft. Es ist schockierend, dass auch die Deutschen jetzt wieder Mauern bauen in Afrika. Hat die deutsche Geschichte mit der Berliner Mauer euch keinen Denkzettel verpasst? Es scheint, als hätte all der Komfort und die Sicherheit in Europa eure Erinnerungen ausgelöscht, wie es war, als eure Großeltern noch Flüchtlinge waren.

Was sollte stattdessen getan werden?

Wir müssen alles investieren, die Ursachen der Konflikte zu lösen. Dazu brauchen wir Hilfe von der internationalen Gemeinschaft, die Krise in Südsudan beizulegen, den Kongo zu stabilisieren, damit dort nicht erneut Krieg ausbricht, und dass Burundi nicht noch explodiert. In all diesen Ländern stehen UN-Missionen mit Tausenden von Blauhelmen. Wie kann es sein, dass diese Länder vor den Augen dieser Blauhelme einfach so in Gewalt versinken? Da läuft doch etwas schief, oder?

Sie haben zum Flüchtlings-Solidaritätsgipfel nach Uganda eingeladen. Was ist das Ziel?

Viele kommen mit hohen Delegationen aus der EU und den USA, von der UN und anderen Organisationen. Wir werden sie in die Lager fliegen und die Flüchtlinge sprechen lassen, sie sollen ihre Geschichten erzählen. UN-Generalsekretär António Guterres wird anreisen, er ist ein Botschafter Ugandas und unserer Politik für die ganze Welt. Wir wollen die Welt ermutigen, Lösungen für die Konflikte unserer Nachbarländer zu suchen.

In Südsudan und Kongo gibt es enorm viele Binnenvertriebene. Die Zahl der Flüchtlinge, die die Grenzen überqueren, wird wohl steigen. Wird Uganda an den Punkt gelangen, wo Politiker sagen: Das Maß ist voll – so wie in Europa?

Wir können und werden niemals sagen, es ist jetzt genug. Wir sprechen hier nicht von einer Party, zu welcher man Gäste einlädt und wenn zu viele vor der Tür stehen, dann entschuldigt man sich, dass man nicht alle empfangen kann. Diese Menschen rennen um ihr Leben, und wenn wir ihnen die Tür nicht aufmachen, sterben sie. Wir können nicht sagen: „Sorry, geh und stirb!“, wie es derzeit im Mittelmeer mit den ertrinkenden Migranten passiert. Das ist nicht akzeptabel. Als Unterzeichnerstaat der Genfer Flüchtlingskonvention haben wir noch nie jemanden deportiert oder nicht anerkannt. Für Menschen, die Schutz bedürfen, gibt es nur einen einzigen Weg, Uganda wieder zu verlassen: nämlich freiwillig und in Würde.

Wieviel gibt Uganda für die Flüchtlinge aus?

Das versuchen wir gerade zu ermitteln, denn die Geberländer verlangen das von uns. Doch das ist nicht einfach. Für die Schulen ist der Bildungsetat zuständig, die Impfungen werden aus dem Gesundheitsetat bezahlt. Die schweren Lastwagen, die Hilfsgüter zu den Lagern bringen, haben die Straßen zerstört, sie werden mit Mitteln des Transportministeriums repariert, die Polizisten vom Innenministerium bezahlt. Wir müssen jetzt sehr viel Land mieten, um Lager zu unterhalten, das ist sehr teuer. Zum Gipfel werden wir eine Zahl parat haben, wieviel ein Flüchtling uns pro Jahr kostet. Denn es gibt gerade eine generelle Müdigkeit der Geber, vor allem aus Europa. Die neuen Regierungen in Europa handeln nach dem Motto: „Europe First“, wie jetzt auch die USA mit Trumps „America First“. Ich mache mir wirklich Sorgen, dass wir bald von der Welt alleine gelassen werden. Das macht mir Angst, ehrlich gesagt.

Bundestagswahl: Positionierungen der Diakonie

Anfang August hat der Bundestagswahlkampf begonnen. In den nächsten Wochen wird die politische Auseinandersetzung über die Gestaltung unseres Gemeinwesens intensiv geführt. Wir wollen uns mit unseren diakonischen Themen daran beteiligen. Dazu möchten wir Ihnen Unterstützung anbieten. Hier finden Sie ein Positionspapier mit kurz gefassten Forderungen zum Thema „Gerechte Teilhabe verwirklichen“. Die weiteren Positionspapiere zu gesellschaftspolitischen Querschnittsthemen finden Sie auf der Internetseite des Bundesverbandes.

HfbK Vorstudien-Programm für Geflüchtete

Zum Wintersemester 2017/18 wird erneut das Vorstudien-Programm „Artistic and Cultural Orientation“ für Migrant*innen mit Fluchtgeschichte  an der Hochschule für bildende Künste Hamburg angeboten. Geflüchtete mit Interesse an einem Kunststudium (Bereiche Film, Fotografie, Malerei/Bildhauerei, Design) sind willkommen sich zu bewerben. Die Bewerbungsfrist ist der 1. September 2017; die Bewerbung erfolgt einfach über ein Online-Formular (in deutscher oder englischer Sprache): www.hfbk-hamburg.de/aco/ Der Kurs beginnt ab Oktober 2017.

Bis zu 20 Teilnehmer*innen sind eingeladen, Denktraditionen der westlichen und östlichen Kunst, Kultur und Gesellschaft zu diskutieren und in künstlerischen Workshops Arbeitsformen hiesiger Kunsthochschulen praktisch auszuprobieren. Parallel wird die Ringvorlesung »Cross-Cultural Challenges«, die sich an alle Hochschulmitglieder richtet, den Diskurs über kulturelle Transfers und andere „Schulen des Sehens“ forcieren. Kostenfreie Exkursionen zu Museen und Ausstellungen sowie fachspezifische Deutschkurse ergänzen das Programm. In einem Paten-System unterstützen HFBK-Studierende die Teilnehmer*innen bei der Orientierung an der Hochschule und in der Hamburger Kunstszene, und mit fachspezifischen Beratungen wird gezielt auf die individuellen Bildungsbiografien eingegangen.

Weitere Infos stehen auch auf der Facebook-Seite.

Die Humanität ertrinkt mit

In den letzten Wochen eskaliert die Situation im Mittelmeer immer mehr – und mit ihr die Debatte um zivile Seenotrettung und europäische Solidarität.

„Solidarität und Humanität sind beliebte Begriffe bei Politiker*innen. Doch in der Realität kann davon nicht die Rede sein.“ schreibt ProAsyl.

Politik um Menschenleben

Die Ergebnisse des Treffens der Innenminister aus zwölf europäischen und afrikanischen Staaten sowie EU-Migrationskommissar Avramopoulos am 24. Juli in Tunis können nicht zynischer die Realität der fliehenden Menschen verleugnen: »Gemeinschaftliches Ziel ist die Rettung von Menschenleben dank weniger Wüsten- und Meerüberquerungen«. Anstatt legale Wege nach Europa zu schaffen und eine europäische Seenotrettung einzusetzen, sollen Todesfälle durch Festsetzen von Schutzsuchenden in Nordafrika verhindert werden – im Rahmen von Entwicklungshilfekonzepten die sich den Herausforderungen der Migration stellen. Weitere Forderungen beinhalten die Übergabe der geretteten Flüchtlinge an nordafrikanische Häfen, um ein Anlandung in Europa zu verhindern.

Militäroperationen zur Rettung ?!

Am 17. Juli beschlossen die EU-Außenminister die europäische Grenzschutz-Mission in Libyen (EUBAM) bis Ende 2018 zu verlängern, um die Sicherung der Südgrenze des Landes zu forcieren. Damit Schutzsuchende keine Möglichkeit zur Flucht bekommen, soll die Ausfuhr von Außenbordmotoren und Schlauchbooten nach Libyen eingeschränkt werden.

Ausgeblendet werden bei diesen Urteilen über Menschenleben die Dokumentationen (u.a. von der UN) über Gewaltexzesse gegen Schutzsuchende in Libyen und Warnungen vor den Menschenrechtsverletzungen.

Auch die EU-Militäroperation „Sophia“ im zentralen Meer wurde bis Ende 2018 verlängert. Die Operation geht inzwischen über das eigentliche Ziel der Schlepperbekämpfung hinaus: das zentrale Projekt ist das Training der libyschen Küstenwache. Seit Beginn der Operation ist die Todesrate bei der Flucht übers Mittelmeer gestiegen, da die Zerstörung der Boote durch „Sophia“ dazu geführt hat, dass Schutzsuchende auf noch seeuntauglichere Boote verfrachtet werden.

Tödliche Diffamierungskampagnen – an Land und zu Wasser

Während sich die Militäroperation immer mehr aus dem Seegebiet nahe Libyens zurück zieht, in dem ein Großteil der Rettungen statt findet, retteten die zivilen Seenotrettungsorganisationen über ihre Kapazitäten hinaus Menschenleben – und werden dafür massiv kritisiert und diffamiert.

Die Rufe, zivile Seenotretter würden mit Schleppern kooperieren und Geschäfte machen, kam bisher nur aus dem rechten Milieu. Inzwischen lassen sich jedoch auch der deutsche Innenminister de Maiziere, der österreichische Innen- und der Außenminister und andere auf dieses Niveau herab, haltlose Unterstellungen ohne jegliche Beweise zu äußern.

Sie stellen sich damit auf eine Linie der ultrarechten Gruppe „Identitäre Bewegung“, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Deutsche, französische und italienische Mitglieder der Organisation hatten ein eigenes Boot („C-Star“ gechartert, um die Seenotrettung im Mittelmeer zu überwachen und Flüchtlinge daran zu hindern nach Europa zu fahren. Sie werfen den zivilen Seenotrettungsorganisationen Menschenhandel und Kooperation mit libyschen Schleppern vor.

Ende Juli wurde der Kapitän der „C-Star“ und sein Stellvertreter in der Türkischen Republik Nordzypern in Gewahrsam genommen, da er vermutlich falsche Angaben über Schiff und Besatzung gemacht habe. Fünf der 20 tamilischen Besatzungsmitglieder sollen nach der Festsetzung Asyl beantragt haben – sie hatten keine Einreiseerlaubnis. Gegen den Kapitän bestehe der Verdacht des Menschenschmuggels. Zuvor war das Schiff im Suezkanal festgesetzt worden, da die richtigen Papiere zur Weiterfahrt fehlten. Im weiteren Verlauf verweigerten mehrere Häfen in Griechenland, Sizilien und Tunesien der „C-Star“ die Einfahrt.

Am 11. August trieb die „C-Star“ mit technischen Problemen manövrierunfähig im Mittelmeer. Nachdem ein Not-Funkspruch abgesetzt wurde, orderte die Seenotleitzentrale in Rom die zivile Seenotrettungsorganisation „Sea-Eye“ an, Kurs auf die C-Star zu nehmen, um ihnen zu helfen. Da die „C-Star“ die Hilfe jedoch ablehnte, nahm die „Sea-Eye“ ihre Suche nach Schiffbrüchigen wieder auf.

Am 14. August meldete die US-amerikanische Crowdfunding-Plattform „Patreon“, dass sie das Profil der Europäischen Identität gelöscht haben, nachdem diese bereits über 100.000 Dollar an Spenden für den Einsatz der C-Star im Mittelmeer erhalten hatten. Man habe sich zu diesem Schritt entschlossen, da dieses Unternehmen wahrscheinlich zum Verlust von Menschenleben führen würde.

Kampf ums Überleben und ums Retten

Seit dem Wochenende setzen die Organisationen Ärzte ohne Grenzen, Sea-Eye sowie Save the Children ihre Rettungseinsätze aus. Im westlichen Mittelmeer habe sich die Sicherheitslage verändert. Berichten zufolge wollen libysche Behörden ihre Kontrolle auf internationale Gewässer ausweiten und verknüpften diese Ankündigung mit einer expliziten Drohung gegen die humanitären Schiffe.

Nachdem es bereits zu Zwischenfällen mit der libyschen Küstenwache gekommen ist, ziehen sich einige Rettungsorganisationen nun zurück, um ihre Besatzungen nicht in Gefahr zu bringen. „Sea-Eye“ spricht von einer „tödlichen Lücke“ im Mittelmeer, weil die Chance auf Rettung nun geringer wird. Dieses Jahr starben bereits mehr als 2400 Menschen auf der Route.

Zuvor hatte sich „Ärzte ohne Grenzen“ (ebenso die „SOS Mediteranée“, „Sea Watch“ und „Jugend Rettet“) geweigert den neuen Verhaltenskodex für zivile Seenotrettungsorganisationen zu unterzeichen, der unter anderem vorsieht, dass bewaffnete Polizisten mit an Bord der Seenotretter sein müssen und auch kleine Seenotrettungsschiffe die Geretteten direkt ans Festland bringen müssen, anstatt sie wie bisher an größere Schiffe zu übergeben. Das italienische Innenministerium konkretisierte daraufhin, dass der Kodex nicht rechtlich bindend sein und nationales und internationales Recht Vorrang habe.

Thesen zur aktuellen Flüchtlingsdebatte

„Verlässlichkeit des Rechtsstaats und humanitärer Blick auf den Einzelfall“

Evangelische Anliegen in Zeiten populistischer Flüchtlingsdebatten

 

Zum diesjährigen Flüchtlingssymposium am 22. Juni 2017 in Berlin stellte Ulrich Lilie, Präsident des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung e.V. (EWDE) folgende Thesen zur aktuellen Flüchtlingsdebatte auf:

 

1. Menschen, die vor Terror, Krieg und Verfolgung aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und anderen Ländern fliehen müssen und auf der Suche nach Zuflucht und Zukunft zu uns gekommen sind, müssen im Zentrum aller Bemühungen unseres Rechtsstaates stehen. Sie haben ein verbrieftes Recht auf Schutz und Sicherheit in Deutschland, auch in Europa.

2. Wir erleben Zeiten populistischer Debatten und leider auch symbolischer Gesetzgebung – zumeist ohne Sicherheitsgewinn, aber zu Lasten des Flüchtlingsschutzes. Dem müssen wir zur Versachlichung und als Leitlinie laut vernehmbar die Verlässlichkeit des Rechtsstaats mit Blick auf den Einzelfall entgegen setzen. Wir müssen bei aller Herausforderung durch die Zahl der Schutzsuchenden unser Denken und Handeln klar danach ausrichten, dass das Recht auf Schutz der Betroffenen auch Realität werden kann.

3. Die Qualität des rechtsstaatlichen Asylverfahrens kann noch besser werden. Dieses Anliegen teilen wir mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Hier muss Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen.

4. Gerichtlicher Rechtsschutz ersetzt nicht Qualität und Qualitätssicherung im Asylverfahren. Er ist jedoch ein notwendiges Korrektiv im gewaltenteiligen Staat und nicht, wie manche populistisch formulieren, ein „Aushebeln schärferer Asylpraxis“. Gerichtlicher Rechtsschutz im Asylverfahren zeichnet die Verlässlichkeit des Rechtsstaates aus, am konkreten Schicksal, am Einzelfall muss sich diese Verlässlichkeit beweisen. Darum ist es unverzichtbar, den Zugang zum Rechtsschutz durch qualifizierte Asylverfahrensberatung, verlängerte Klagefristen und effektiven Zugang zu anwaltlicher Rechtsvertretung auch bei Abschiebungen zu stärken.
Angesichts der offenliegenden Mängel im Asylverfahren muss es jetzt vor allem um Qualität, und dann erst um Schnelligkeit gehen.

5. Wir brauchen eine europäische Lösung und Verantwortungsteilung beim Flüchtlingsschutz. Daran darf ein starkes Deutschland einen starken Anteil haben.

6. Zur Verlässlichkeit des Rechtsstaats gehört es auch, dass Geflüchteten, die nicht in ihre Heimat zurückkehren können, ein Leben in Deutschland mit ihrer Familie ermöglicht wird. Wer aus wahltaktischen Gründen verhindert, dass Geflüchtete ihre engesten Angehörigen nachholen, trägt wissentlich zu ihrer Desintegration bei.

 

Hier können Sie den gesamten Text nachlesen.

Ursachen von Kirchenasyl beseitigen

„Am liebsten wäre es uns, kein Kirchenasyl gewähren zu müssen“

Bundesweite Kirchenasylkonferenz: Rückkehr zu Flüchtlingspolitik, die rechtsstaatlichen
Ansprüchen genügt und sich an Menschenrechten orientiert

Frankfurt am Main, 1. Juli 2017. Bei einem Treffen von Flüchtlingsinitiativen aus ganz
Deutschland haben am Wochenende in Frankfurt am Main Vertreterinnen und Vertreter
den zunehmenden Druck von Politik und Behörden auf das Kirchenasyl kritisiert. In
einer Erklärung forderten sie die Verantwortlichen auf, „zu einer besonnenen,
rechtsstaatlichen Ansprüchen genügenden und an den Menschenrechten orientierten
Flüchtlingspolitik“ zurückzukehren. In Frankfurt hatten sich rund 250 Aktive aus
evangelischen und katholischen Kirchen-gemeinden, Klöstern, Diakonie und Caritas
zu einer bundesweiten Kirchenasylkonferenz getroffen. Eingeladen zu diesem Tag hatten
die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG), die Evangelische
Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und die Diakonie Hessen.

Kirchengemeinden unter Druck

„Wir sehen das Kirchenasyl unter großem Druck“, sagten die Initiatoren Dietlind
Jochims, Vorstandsvorsitzende der BAG, und Andreas Lipsch, Interkultureller Beauftragter
der EKHN und Leiter der Abteilung Flucht, Interkulturelle Arbeit, Migration der Diakonie
Hessen. „Zum einen gibt es den Leidensdruck durch eine immer restriktiver werdende
Flüchtlingspolitik und die stark steigende Zahl von Härtefällen. Immer öfter suchen
Menschen verzweifelt nach Schutz in Kirchenräumen. Zum anderen gerät das Kirchenasyl
selbst immer wieder unter politischen Druck, im Extremfall kommt es mittlerweile zu
Strafanzeigen oder angedrohten Räumungen.“

„Unser Hauptziel bleibt, die Ursachen von Kirchenasyl zu beseitigen.“

Die Teilnehmenden der Konferenz verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung mit
dem Titel: „Am liebsten wäre es uns, kein Kirchenasyl gewähren zu müssen.“ Darin
werden die aktuellen Missstände in der Flüchtlingspolitik deutlich benannt, insbesondere
die drohenden Abschiebungen nach Afghanistan sowie in europäische Länder, in denen
die Grund- und Menschenrechte von Schutzsuchenden häufig verletzt werden, wie Ungarn,
Bulgarien oder Italien. Die Konferenz betont: „Unser Hauptziel bleibt, im Dialog mit der
Politik und den staatlichen Behörden die Ursachen von Kirchenasyl zu beseitigen. Wir
erwarten von den politisch Verantwortlichen, uns durch die Rückkehr zu einer besonnenen,
rechtsstaatlichen Ansprüchen genügenden und an den Menschenrechten orientierten
Flüchtlingspolitik dabei zu unterstützen.“

Die Erklärung der bundesweiten Kirchenasylkonferenz am 1.7.2017 im Wortlaut:

„Am liebsten wäre es uns, kein Kirchenasyl gewähren zu müssen.“
Die Zahl der Menschen aber, die Schutz in kirchlichen Räumen suchen, steigt. Gründe
dafür sind eine immer rigider und restriktiver werdende Asylpolitik, die hohe Zahl der
Asylanträge, eklatante Mängel in der europäischen Flüchtlingspolitik, skandalöse
Aufnahmebedingungen in den Dublin-Ländern, insbesondere in Bulgarien, Ungarn und
Italien, und vielfach fehlerhaft durchgeführte Asylverfahren. Angesichts dieser Situation
ist die aktuelle Zahl der uns bekannten Kirchenasyle in Deutschland gemessen an den
existierenden Notlagen mit 309 sehr niedrig. Längst nicht alle Anfragen münden in ein
Kirchenasyl. Die vermehrten Bitten um Kirchenasyl machen vor allem Probleme deutlich
und funktionieren als Seismograph. Das Kirchenasyl kann aber nicht die Lösung für
strukturelle Probleme in der Flüchtlingspolitik sein. Grundsätzlich gewähren wir Kirchenasyl
nur, wenn wir im Einzelfall davon ausgehen müssen, dass Menschen Gefahr für Leib und
Leben oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Grund- und Menschenrechte droht.

Zur Vermeidung solcher Gefahren fordern wir:

▪ Etliche Kirchenasyle werden Menschen aus Afghanistan gewährt. Wir fordern unverändert
die vollständige Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan und erwarten, dass die
angekündigte neue Beurteilung der dortigen Sicherheitslage durch das Auswärtige Amt der
Realität angepasst wird. Wir sehen zusätzlich die dringende Notwendigkeit, die Praxis
der Kettenabschiebungen, zum Beispiel über Norwegen nach Afghanistan, in den Blick
zu nehmen. Statt des reinen Verweises auf Zuständigkeiten muss die deutsche Politik
hier ihre Verantwortung wahrnehmen.

▪ Kirchenasyle wollen nach Abschiebungen auch innerhalb der EU drohende erniedrigende
und menschenrechtswidrige Behandlungen verhindern. Es gäbe deutlich weniger Kirchenasyle,
wenn Rückführungen nicht mehr in solche europäischen Mitglied-staaten erfolgen würden, in
denen Grund- und Menschenrechte von Schutzsuchen-den häufig, zum Teil systematisch,
verletzt werden. Dies betrifft zum Beispiel Bulgari-en mit gewaltsamen Übergriffen in Lagern
und Gefängnissen, Ungarn, das generelle Inhaftierung von Flüchtlingen vorsieht, oder Italien,
wo aus Deutschland zurückgeschickte Menschen meist auf der Straße ohne Versorgung
leben müssen. Abschiebungen nach Griechenland, die bis März 2017 wegen systemischer
Mängel im Aufnahmesystem des Landes ausgesetzt waren, sollten weiterhin unterbleiben,
solange sich die Lage für Flüchtlinge in Griechenland nicht substantiell verbessert.

▪ Viele Kirchenasyle setzen sich für von Trennung bedrohte Familien ein. Wir fordern
das BAMF auf, seine Ermessensspielräume zu nutzen, um familiäre Bindungen und
humanitäre Aspekte zu berücksichtigen.

▪ Versuche der Diskreditierung und Kriminalisierung durch Vorwürfe, das Kirchenasyl
werde missbraucht, die Drohung mit Sanktionen, Einschüchterungen durch Strafverfahren
gegen Betroffene und ihre Unterstützer*innen sowie Androhung und Durchführung von

Kirchenasyl-Räumungen weisen wir zurück.

Es bleibt unser Hauptziel, im Dialog mit der Politik und den staatlichen Behörden die Ursachen von Kirchenasyl zu beseitigen. Wir erwarten von den politisch Verantwortlichen, uns durch die Rückkehr zu einer besonnenen, rechtsstaatlichen Ansprüchen genügenden und an den Menschenrechten orientierten Flüchtlingspolitik dabei zu unterstützen.

Frankfurt am Main, 1.7.2017

 

Ökum. Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.

Heilig-Kreuz-Kirche

Zossener Str. 65

10961 Berlin

www.kirchenasyl.de

Ombudsstelle nimmt Arbeit auf

Anfang Juli hat die Hamburger Ombudsstelle in der Flüchtlingsarbeit ihre Arbeit aufgenommen. Die Ombudsstelle ist eine unabhängige Beschwerdestelle. Alle, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, können sich an sie wenden. Dazu gehören Geflüchtete, ehrenamtlich Aktive, Bürgerinnen und Bürger sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Unterkünften.
Wir begrüßen Frau Annegrethe Stoltenberg in ihrer neuen Position als neutrale Schlichterin!

Alle Informationen rund um die Ombudsstelle finden Sie in diesem Flyer und unter hamburg.de
So erreichen Sie die Ombudsstelle:

ombudsstelle@omb.hamburg.de

Telefon: 040/ 428 63 – 41 63
Telefonische Sprechzeiten
Montag: 14 bis 16 Uhr
Mittwoch: 9 bis 11 Uhr

Große Reichenstraße 14, 22457 Hamburg
Öffnungszeiten
Dienstag: 9.30 bis 11.30 Uhr
Donnerstag: 16 bis 18 Uhr
Weitere Termine sind nach Vereinbarung möglich.